- Sonntag im Jahreskreis, 28.08.2016 – Zum Evangelium nach Lukas 14, 1.7-14
Manchmal betrete ich so früh eine Kirche, dass außer mir noch niemand Platz genommen hat. Im Regelfall brauche ich dann keinen Sitzplatz, denn als Fotograf soll ich die bevorstehende Feier begleiten. Dann nehme ich vorher gerne die leere Kirche auf und beobachte, wie sie sich füllt. Und auch während einer solchen Feier gehe ich umher und versuche, das Geschehen aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln zu verfolgen.
Es ist ein Privileg, dies tun zu dürfen. Denn es bereichert ungemein, wenn man sich immer wieder neu ausrichten darf. Man sieht viel mehr von der Gemeinde, nicht bloß in sein direktes Umfeld. Man stellt fest, dass es eigentlich gar keine ideale Position in einer Kirche gibt, sondern viele ideale Plätze für unterschiedliche Momente einer Messfeier.
Wenn ich dann dieses Evangelium für den heutigen Sonntag lese, fällt mir auf, dass die Gäste am Tisch des Gastgebers offenbar davon ausgehen, dass es eine ideale Position gibt, die Ehrenplätze. Man kann solch einen Platz einnehmen – aber ist man dann nicht auch sehr immobil? Und bin ich als Gast einer Feier so viel schlauer als der Gastgeber, dass ich nicht auf einen Platz warte, sondern ihn mir nehme?
Wenn man eine Messe besucht und Eucharistie gefeiert wird, treten alle zur Kommunion entweder zum Altar oder zu einem Kommunionhelfer an einer anderen Stelle in der Kirche. Aber immer wenden sich zwei Menschen zueinander und zwischen ihnen ist das gewandelte Brot. Gott ist mitten unter denen, die sich in seinem Sinne versammelt haben. Und jeder ist in diesem Moment der Ehrengast auf dem Ehrenplatz. Er ist zu diesem Platz extra gegangen und wieder gegangen. Und wenn er gegangen ist, hat er die Kommunion empfangen: Gott geht mit ihm – an jeden Platz. Er begleitet jeden auch außerhalb des Kirchengebäudes.
Die Gäste im heutigen Evangelium suchen die kurzfristig optimale Position. Jesus belehrt sie, dass der Gastgeber, der sie bewirtet, nach seinem eigenen Plan vorgeht. Und dass Gott sich den Armen zuwendet, die ihm nicht auf Augenhöhe begegnen können. Diese Armen sind wir. Die Menschen, die zwar Gottes Liebe empfangen und weitergeben können wie ein Gast am Tisch. Aber wir können nicht in gleicher Weise göttlich werden. Jesus wendet sich also uns zu an jedem Platz, an dem wir leben. Wir sollten nicht nach einer besonderen Position suchen und sie wie eine Festung einnehmen. Dann wird nämlich die Chance vertan, an ungeahnten Plätzen Gott begegnen zu können. Vergessen wir nicht, dass wir das gebrochene Brot in einem Tabernakel finden. Tabernakel heißt auf Deutsch „Zelt“ – ein Dach, aber nicht auf Dauer mit dem Grund verbunden. Gottes Liebe ist mobil, überall, wo wir sie in unserem Leben zulassen.
Dass Sie heute mit Ihm zusammentreffen und vielleicht für einen kurzen Augenblick das Gefühl haben, Gott blickt Sie an und sagt zu Ihnen: „Komm zu mir“ – das wünsche ich Ihnen.
Tim Wollenhaupt
Die Rubrik Impuls zum Sonntag – gibt Frauen und Männern aus unserer Gemeinde die Möglichkeit, ihrem priesterlichen und prophetischen Auftrag Ausdruck zu verleihen. An dieser Stelle finden Sie in jeder Woche neu persönliche Gedanken zum Evangelium des jeweiligen Sonntags – individuelle Lebens-und Glaubenszeugnisse von Menschen, die versuchen, ihr Leben aus der Kraft der Taufe anzunehmen und zu gestalten.