7. Sonntag im Jahreskreis, 24.02.2019
Zum Evangelium nach Lukas 6, 27 – 38
Immer wieder erzählt mir meine Frau von einer Keksdose, die auf einem hoch hängenden Küchenschrank in der großelterlichen Wohnung lag. Unerreichbar für Kinderhände. Selbst die abstrusesten Klettergerüste aus verschobenen Küchenstühlen und aufgestellten Hockern reichten nicht, um den kleinen Händen die Keksdose erreichbar zu machen. Für die Erwachsenen war es kein Problem, die Dose mit dem ausgestreckten Arm zu erreichen, doch für ein kleines Kind mit großem Appetit blieb das Ziel ein Ort der Träume. Ich höre diese Geschichte sehr gerne, denn ich kenne eigene Geschichten zum selben Thema und beim Erzählen steigt uns der aromatische Duft verführerischer Kekse fast schon wieder in die Nasen.
Das heutige Evangelium hat gewiss nichts mit Keksen zu tun – aber mit dem Erwachsen werden im Glauben. Was Jesus da alles verlangt: Feindesliebe, Beten für die Mobbenden, Schuldenerlass und übergroße Hingabe. Christsein ist ganz offensichtlich kein gewinnbringendes Unterfangen, weltlich-wirtschaftlich gesehen. Es klingt auch nicht sonderlich befriedigend, geradezu weltfremd, für diejenigen Gnade und Frieden zu erbitten, die mir mit Hass begegnen.
Weltfremd, ja, das trifft es. Denn Jesus vergleicht das erwünschte Handeln seiner Nachfolger nicht mit irdischem Maß, sondern mit der übergroßen Liebe, die Gott den Menschen entgegen bringt. Allen, auch denen, die das gar nicht interessiert. Sogar denen, die aktiv für das Gegenteil von Liebe eintreten, die berechnen und in weltlichem Überfluss schwimmen können. Jesus fordert zur hingebungsvollen, bedingungslosen Liebe auf, gegenüber jedem. Und er verweist darauf, dass man nur so auf Gottes Ebene gelangen könne.
Christlich gesehen bin ich zwar alt geworden, aber noch immer nicht erwachsen genug. Klar ärgere ich mich, wenn ich merke, dass über mich gelästert wird und das Letzte, was mir dazu einfällt, ist ein ernst gemeintes Gebet um Frieden für den lästernden Menschen. Und wenn man mir etwas wegnimmt, steht mir ein ganzes Arsenal zur Wiedererlangung zur Verfügung, von Polizei über Rechtsanwälte, nationale und sogar internationale Instanzen. Bete ich um Gnade für einen Einbrecher? Viel eher bete ich für ein gerechtes, aber hartes Urteil und vielleicht hoffe ich ja sogar auf eine unbequeme Zelle für den Unhold.
Kennen Sie eine Stelle in der Bibel, in der Jesus erklärt, die Sünder hätten auf ewig verloren? Ihnen sei eine Zelle in ewiger Verdammnis sicher, wo sie schmachten werden? Der Jesus, den ich kenne, lädt ununterbrochen dazu ein, sich immer wieder neu für ein liebendes Ideal zu entscheiden. Johannes der Täufer lädt die Menschen zur Umkehr ein und fordert sie auf, dem kommenden Herrn die Straßen zu ebnen. Das ist nie abgeschlossen, sondern dauerhafte Aufgabe.
Jesus verlangt nicht die Abkehr von weltlicher Gerichtsbarkeit. Aber er stellt sie ganz gewiss auch nicht an die erste Stelle. Priorität hat das Streben nach Göttlichkeit, wenigstens der Versuch, in einer gnädigen und bedingungslosen Liebe erwachsen zu werden und so dem Vater ähnlich.
Die Erwachsenen konnten früher mühelos die Kekse aus der Dose nehmen und genießen. Der Keks, den Jesus verspricht, ist noch viel köstlicher: „Gebt, dann wird auch euch gegeben werden. In reichem, vollem, gehäuftem, überfließendem Maß wird man euch beschenken…“
Früher hieß es: „Wenn Du groß bist, ist das alles kein Problem mehr.“ Jesus sagt uns: Wenn ihr so seid, wie Gott, werdet ihr mit Liebe beschenkt, mehr als ihr euch ausmalen könnt. Nun weiß ich nicht, wie es Ihnen geht. Aber Lust auf das Erwachsenwerden macht das schon, oder nicht?
Ihnen wünsche ich einen gesegneten Sonntag und eine beschenkende Woche
Tim Wollenhaupt