Zum Evangelium vom Fest der Heiligen Familie (27. Dezember 2020)
Jesus, Maria und Josef: die Heilige Familie – diese Konstellation ist wohl einzigartig. Übrigens ohne Großeltern, aber mit unerwarteten Gästen in gut belüfteter Umgebung. Was der Evangelist Lukas ansonsten über die heilige Familie zu berichten weiß, ist völlig normal für eine jüdische Familie der damaligen Zeit. Lukas fasst es in wenigen Sätzen zusammen:
„Als seine Eltern alles getan hatten, was das Gesetz des Herrn vorschreibt, kehrten sie nach Galiläa in ihre Stadt Nazaret zurück. Das Kind wuchs heran und wurde stark, erfüllt mit Weisheit, und Gottes Gnade ruhte auf ihm.“ (Lk 2, 39f)
Und ein wenig weiter: „Er war ihnen [den Eltern] untertan … Und Jesus nahm zu an Weisheit und Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.“ (Lk 2,51f)
Provokativ ließe sich das Ganze so formulieren: „Da geht Gottes Sohn selbst in diese unsere Welt ein –
das umwerfendste Ereignis der Weltgeschichte! -, und da hat dieser Gott nichts Besseres zu tun als 30 Jahre in Nazaret, in diesem letzten Kaff, banalste Alltäglichkeit zu leben.“ (Gisbert Greshake, a.a.O. S. 75)
Der Theologe sieht darin ein „wesentliches Moment der Menschwerdung: Gottes Sohn (Gottes Herrlichkeit) hat 30 Jahre lang menschlichen Alltag (also Niedrigkeit) gelebt, wo (vordergründig gesehen) ‚nichts‘ passiert. In Wirklichkeit jedoch geschieht – wie die Schrift sagt – ein Wachsen, nämlich ein Zunehmen nicht nur an Alter und Lebenskraft, sondern an Weisheit sowie Reifen in der Gnade und Liebe Gottes. Daraus ist zu folgern, dass auch für uns gerade in der „Niedrigkeit“ unseres Alltags Gottes Herrlichkeit gegenwärtig ist… Der Alltag ist also kein dunkles Gefängnis, keine absurde Leere, kein sinnlos-schablonenhaftes Auf-der-Stelle-Treten, sondern jene Vor-Gabe Gottes, in der da, wo sie angenommen und bejaht wird, sich absoluter Sinn ereignen kann, nämlich ein wahres Wachsen in der Liebe und Zugehen auf das Reich Gottes hin.“ (a.a.O. S. 78f)
In dieser Perspektive erscheint die heilige Familie als etwas Normales und Alltägliches: ein Weltereignis im Kleinformat. Im Alltagsmodus unseres Lebens ist Gottes Herrlichkeit verborgen, aber wirklich und wirksam anwesend. Sie im eigenen Alltag – mit den Augen des Glaubens – zu entdecken und entsprechend zu leben, darum geht es – auch in Corona-Zeiten. Und dies ist ein (lebenslanges) Wachsen und Reifen, wie es der Evangelist im Blick auf Jesu Leben in Nazaret beschreibt.
Das Fest der heiligen Familie kann mir dafür die Augen öffnen: Meine Welt ist auch Gottes Welt und seine Welt die meine. Der Glaube an die Menschwerdung Gottes lässt mich meinen Alltag als den mir geschenkten Lebensraum entdecken, in dem ich Gottes Nähe und Wirken spüren kann: im liebevollen Umgang miteinander; in einem ermutigenden Lächeln oder einem tröstenden Wort; in einem Musikstück, das berührt; in der kreativen Suche nach Lösungen; in einem Akt der Rücksichtnahme oder Versöhnung; in der Begegnung mit einem freundlichen Postboten … Es ist auch der Lebensraum, in dem andere in mir und durch mich etwas von Gottes Nähe und Liebe spüren können … Es ist der Lebensraum, in dem wir gemeinsam nach Sinn und „Leben in Fülle“ suchen …
Burkhard Schönwälder
(angeregt durch das Buch „Gottes Karriere nach unten“ von Gisbert Greshake)