Kreuzerhöhung, 14.09.2025
Zum Evangelium nach Johannes 3, 13 – 17
…nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat.
13 Niemand ist in den Himmel hinaufgestiegen außer dem, der vom Himmel herabgestiegen ist: der Menschensohn. 14 Und wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, 15 damit jeder, der glaubt, in ihm ewiges Leben hat. 16 Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat. 17 Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird.
Wenn Wahlen sind, wird gerne davon gesprochen, dass Wahlen gewonnen oder verloren werden. Besonders blumig wird es, wenn im Gegensatz zu vorherigen Wahlen größere Differenzen vorliegen. „Erdrutschartig“ oder „haushoch“ sind dann die Attribute der Wahl, „größter Gewinn/Verlust seit…“ und dergleichen. Am Sonntag dieses Evangeliums sind Kommunalwahlen in NRW und dann wird es ab 18:00 Uhr genau so sein, dass die Wahlgewinner und die Wahlverlierer vor laufenden Kameras erklären sollen, wieso gerade dieses Ergebnis erzielt wurde und dann, mit wem man koalieren möchte oder was die Pläne für die Oppositionsarbeit sind.
Beim Blick auf das Evangelium kommt einem eine Legislaturperiode schrecklich unwichtig vor. Ganz gleich, ob sie vier oder fünf Jahre lang dauert, ob sie bis zum Ende durchgehalten oder durch ein Misstrauensvotum oder ähnliche Ereignisse vorzeitig beendet wird. Und auch nach der Lektüre der unterschiedlichsten Wahlprogramme vor der Wahl komme ich bei diesem Evangelium zu einem einfachen Gedanken: Mal angenommen, jeder verinnerlichte dieses Evangelium und alle richteten sich in ihrem Leben darauf aus, sich an über die Jahrhunderte hinweg gültige Regeln zu halten, sich am Wohl des anderen zu orientieren und nicht das Urteil von Wahlvölkern annehmen zu müssen, sondern Gottes Wort – was wäre dann unser gemeinsamer Gewinn und was ein Verlust?
Wäre eine andere Politik denkbar als eine nächstenliebe? Wären andere Entscheidungen zu fällen als solche, die auch vor zeitlosen und überirdischen Instanzen Bestand hätten? Müssten wir uns tatsächlich über Einkommensscheren, Sozialsysteme und Altersarmut unterhalten, wenn jegliche Politik sich daran ausrichten müsste, dass es gerecht im Sinne Gottes zugeht?
Mal angenommen, das wäre so, dann wäre diese Welt eine bessere. Und wenn wir doch alle im sogenannten „christlichen Abendland“ leben, wieso ist die Welt dann nicht wenigstens schon auf dem besten Wege, mindestens gut zu sein? Statt über die Ausrichtung am gemeinsamen ewigen Leben zu debattieren, redet ein namhafter Teil von Entscheidenden über Kriegstüchtigkeit. Gewiss, ich finde es gut, notfalls so stark zu wirken, dass ein Aggressor nach reiflicher Abwägung einen Angriff aus Furcht, unterliegen zu müssen, unterlässt. Und doch fände ich eine internationale Übereinkunft, aus Respekt vor dem Ewigen Aggression zu unterlassen und zu ächten, weitaus charmanter.
Nun, ich mag davon träumen. Aber irgendwie wirkt das Evangelium auf mich so wie ein Auftrag, bei jeder Wahl zu prüfen, welche Menschen in ihrem politischen Wirken dem Ideal in diesem Text am nächsten kommen. Man kann sich täuschen. Dann kann man von einer Wiederwahl absehen. Und man kann sich darüber freuen, richtig gewählt zu haben. Im Sinne einer menschenfreundlichen Politik und mit Blick auf ein friedliches Miteinander über alle zeitlichen Grenzen hinaus.
Wenn Sie heute Ihr Kreuz machen sollten, dann denken Sie bei Ihrer Entscheidung doch gerne über das Kästchen hinaus und fragen Sie sich, ob hinter einem Wahlversprechen befristetes Kalkül steht oder eine zeitlich unabhängige Haltung. Das kann eine Form der Kreuzerhöhung auf dem Wahlzettel sein. Das Kreuz gibt auf Ihrem Wahlzettel für Sie die gewünschte politische Richtung an.
Was könnten wir gewinnen, wenn die Richtung von Zettel und Leben identisch wäre?
Tim Wollenhaupt