- Sonntag der Osterzeit, 17.04.2016 – Zum Evangelium nach Johannes 10, 27 – 30
Neulich hatte ich das große Glück, wieder einmal auf einem Deich in Norddeutschland zu stehen. Und wenn man zur richtigen Jahreszeit dort ist, dann kann man schon mal in einer Schafherde stehen. Auch in Irland stand ich plötzlich mitten in einer Schafherde. Die Schafe waren ohne Hirten unterwegs, ihre Zugehörigkeit wurde durch einen Farbfleck auf dem Fell gekennzeichnet.
Im heutigen Evangelium werden die Menschen mit den Schafen gleichgesetzt. Bin ich also ein Schaf? An und für sich ist das ja keine schlechte Vorstellung. Man ist an der frischen Luft, man hält das Gras kurz, sorgt durch das Auftreten für das Verdichten des Bodens und aus dem geschorenen Fell kann viel Gutes produziert werden. Aber ist das alles? Wiederkäuen und ansonsten halbmelodisch blöken?
Andersherum birgt der Text des Evangeliums deutlich mehr Sinn. Nicht auf die willenlose Herde kommt es an, sondern auf die Beziehung, in welcher sich der Hirte zur Herde sieht. Jesus kündigt an, Verantwortung zu übernehmen. Er verspricht ewiges Leben für jedes einzelne Schaf. Und er leitet seine überirdische Macht von Gott ab und stellt sich auch in eine direkte Beziehung zu Gott. Jesus wird zum Hüter einerseits und zum Bindeglied zwischen denen, die ihm folgen und Gott.
Es kommt also nicht darauf an, willenlos zu akzeptieren. Wie die Schafe, die ohne sichtbaren Hirten in Irland herumliefen, steht auch mir die Welt offen. Ich kann sie mitgestalten und mich im Rahmen meiner Möglichkeiten einbringen. Aber ich soll mein Leben an dem ausrichten, was mir mein guter Hirte mit auf den Weg gibt.
Jesus gibt den Menschen also eine Richtschnur mit auf den individuellen Weg und sichert die Verbindung mit einem unsichtbaren Band: Dem Versprechen, immer da zu sein. Ich kann mich in seiner Hand geborgen fühlen.
Zugegeben, das klingt jetzt naiv. Jetzt, wo Sie das vielleicht aus einem Gefühl der Überlegenheit heraus lesen. Aber um diese Situation im Leben geht es gar nicht. Es ist eine Zusage für die Zeiten im Leben, in denen man sich ohnmächtig und von allen und allem allein gelassen fühlt. Ich bin mir sicher, dass sich jeder an ein solches Erlebnis im eigenen Leben gut erinnern kann. Gerade dann, wenn man von nirgendwo noch Hilfe zu erwarten hat, gerade in diesem Moment darf ich darauf vertrauen, von Gott begleitet, geliebt und für wertvoll gehalten zu werden. Das ist dann nicht mehr naiv. Das ist dann ein Quell für Kraft, für Entspannung und Unterstützung auf meinem Weg.
Ihnen und mir wünsche ich, dass Sie sich in dieser Weise geborgen und geliebt fühlen können. Und dass man Ihnen sagt, wie wertvoll Sie sind. Dass Sie zu Gott gehören und sich gerade deshalb vor nichts fürchten müssen. Noch nicht mal vor dem Ende des Lebens.
Tim Wollenhaupt
Die Rubrik Impuls zum Sonntag – gibt Frauen und Männern aus unserer Gemeinde die Möglichkeit, ihrem priesterlichen und prophetischen Auftrag Ausdruck zu verleihen. An dieser Stelle finden Sie in jeder Woche neu persönliche Gedanken zum Evangelium des jeweiligen Sonntags – individuelle Lebens-und Glaubenszeugnisse von Menschen, die versuchen, ihr Leben aus der Kraft der Taufe anzunehmen und zu gestalten.
Tim Wollenhaupt