Zum Evangelium der Heiligen Nacht (Lk 2,1-14) am 24. Dezember 2024
Die Darstellungen der Weihnachtskrippe beziehen sich auf das Lukasevangelium, wo es heißt:
„… und sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge
kein Platz für sie war.“ (Lk 2,7b)
Mehr erzählt Lukas nicht. Weder von einer vergeblichen Herbergssuche, noch von einer Geburt in einem löcherigen Stall ist die Rede. Der Evangelist schreibt keinen Tatsachenbericht, er erzählt vielmehr eine Geschichte – heute würden wir das ein“Narrativ“ nennen. Er erzählt die Geschichte von Jesus natürlich von seinem Ende in Tod und Auferstehung her. Und er will zeigen, dass Jesu Leben total menschlich war und zugleich von Anfang an unter dem Glanz und der Treue Gottes stand. Lukas erzählt eine Geschichte der Armut. Und sie beginnt in den kleinen Ein-Raum-Häusern der Armen, wie er und seine Zuhörer/-innen sie damals kannten: In diesen Ein-Raum-Häusern lebte die Familie – Vater, Mutter, Kinder und Verwandte – zusammen mit ihrem Vieh. Annette Jantzen erläutert:
„Es gab verschiedene Typen dieser Häuser, auch in den Städten übrigens, mal mit einem erhöhten Bereich für die Menschen, mal mit einer trennenden halbhohen Wand zwischen den Bereichen von Menschen und Tieren. In diese halbhohe Wand war dann praktischerweise direkt die Futterkrippe eingelassen. Das war das Heim der Familien. Wer nun ein bisschen was sparen konnte, konnte es sich leisten, einen zweiten Raum an dieses Haus anzubauen, um ihn dann zu vermieten: einen Raum für zahlende Gäste. Dieser Raum ist die ‚Herberge‘ im Lukasevangelium.
Wenn Lukas also erzählt ‚sie legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war‘, dann hörten die ersten Adressat:innen der Geschichte: Der Raum für zahlende Gäste war schon belegt. Darum waren Maria und Josef ins Zuhause der Familie aufgenommen worden, die zusammengerückt war, um Platz zu machen für die neue Familie, und das Neugeborene wurde in die Krippe gelegt, damit es nicht zwischen die Hufe der Tiere geraten konnte. Jesus wurde in Lukas’ Geschichte nicht in Ausgrenzung und Verachtung hineingeboren, sondern in die Solidarität der Armen.“ (vgl. Annette Jantzen, a.a.O. S.101)
Annette Jantzen eröffnet eine völlig neue Sicht auf das Weihnachtsevangelium und seine Botschaft. Gerade in der Solidarität der Menschen von Betlehem sieht Lukas das Zeichen für unsere Rettung durch Gott. Die Solidaritätsgeschichte lädt uns ein, die Geborgenheit mitzuhören, die es bedeutet, ins Heim der Familie aufgenommen zu werden. Denn für die Menschen, die der jungen Familie bei aller Enge noch Raum für Geborgenheit schaffen, wird erfahrbar, wie Gott rettet: „Wer gottgeborgen lebt, … den lasse ich schauen meine Rettung.“ (Ps 91,1.16) (Vgl. Annette Jantzen, a.a.O. S. 103f)
Am Ende des heutigen Evangeliums verkünden die Engel den Hirten: „Und auf Erden: Friede den Menschen seines Wohlgefallens!“ (Lk 2,14) Genau das finden die Hirten ganz konkret – so scheint mir – in Betlehem in dem Raum der Solidarität und Geborgenheit mit dem Kind in der Krippe!
Burkhard Schönwälder
in Anlehnung an: Annette Jantzen, Das Kind in der Krippe. Die Weihnachtsbotschaft – entstaubt, durchgelüftet, neuentdeckt, Herder Freiburg 2024, S. 99-104