Zum Evangelium Mk 12, 28b-34 am Sonntag des Jahreskreises – 31.10.2021
28 Ein Schriftgelehrter hatte ihrem Streit zugehört; und da er bemerkt hatte, wie treffend Jesus ihnen antwortete, ging er zu ihm hin und fragte ihn: Welches Gebot ist das erste von allen? 29 Jesus antwortete: Das erste ist: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. 30 Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit deinem ganzen Denken und mit deiner ganzen Kraft. 31 Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden. 32 Da sagte der Schriftgelehrte zu ihm: Sehr gut, Meister! Ganz richtig hast du gesagt: Er allein ist der Herr und es gibt keinen anderen außer ihm 33 und ihn mit ganzem Herzen, ganzem Verstand und ganzer Kraft zu lieben und den Nächsten zu lieben wie sich selbst, ist weit mehr als alle Brandopfer und anderen Opfer. 34 Jesus sah, dass er mit Verständnis geantwortet hatte, und sagte zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes. Und keiner wagte mehr, Jesus eine Frage zu stellen.
Es ist wohl unbestritten, dass Vorschriften und Gesetze für das Zusammenleben der Menschen unabdingbar sind. Sollte man meinen … denn ohne eine solche Grundordnung würde das Leben in Anarchie und Chaos ausarten. Wenn ich die lokalen und überregionalen Nachrichten verfolge, drängt sich mir aber der Eindruck auf, dass da zunehmend etwas in Schieflage gerät. Allzu oft setzen sich Menschen über die gesellschaftlichen Regeln hinweg, missachten das Recht und die Schutzzone ihres Gegenübers, verschaffen sich ohne Rücksicht auf Andere Vorteile und/oder greifen Andere sogar an, um eigene Ziele und Wünsche durchzusetzen. Woher kommen diese Rücksichtslosigkeit und Skrupellosigkeit? Sind das alles Egomanen oder fehlt es diesen Menschen schlichtweg an Einsicht in ein Regelwerk für den gegenseitigen Umgang miteinander in der menschlichen Gesellschaft? Klafft der Grundkonsens darüber, was richtig und was falsch ist, mittlerweile so weit auseinander, dass sich der Sinn bestehender Gesetze und Ordnungen Vielen nicht mehr erschließt und sie deshalb veranlasst, das Recht in die eigene Hand zu nehmen?
Als die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes um diese Verfassung für unser Land gerungen haben, lag der Schatten des Krieges und der menschenverachtenden nationalsozialistischen Gewaltherrschaft noch über ihnen. Sie wollten eine neue Ordnung schaffen, die auf das Wohl des Einzelnen wie der Gesellschaft als Gesamtes ausgerichtet war. In unserer Grundordnung finden sich dabei viele Anklänge an die zehn Gebote.
Wie diese Grundregeln für die einzelnen Lebensbereiche umgesetzt werden sollten, lag dann in der sich immer weiter fortentwickelnden Gesetzgebung und war damit geprägt von jeweils aktueller Politik und Erkenntnissen, die sich aus der Weiterentwicklung von Gesellschaft, Wissenschaft und Geopolitik ergaben. Dass es gilt, diese Regeln auch immer wieder zu hinterfragen auf ihre Tragfähigkeit und ihren Sinn, zeigt beispielsweise der Rückblick auf die Maßnahmen während der Corona Pandemie. Ein konstruktives Hinterfragen setzt zugleich aber die Bereitschaft zu einem respektvollen Diskurs voraus, um am Ende das Wohl des Einzelnen wie der Gesellschaft mit weiterentwickelten Regeln zu fördern und auch transparent deren Sinn zu vermitteln. Dies ist wichtig, damit sich die Menschen als Teil des Ganzen verstehen und erleben können und die Gesetze nicht als Selbstzweck fern ihres Lebens wahrnehmen. Schwierig genug in unserer heutigen heterogenen und gespaltenen Gesellschaft!
Das Wohl der Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, Gesetze nicht zum Selbstzweck werden zu lassen – genau darum geht es im heutigen Evangelium. Jesus rückt in die Mitte, was in die Mitte gehört. Die Gottesliebe als Zentrum unseres Lebens holt uns in bewusster Dankbarkeit aus dem Kleinklein unseres Alltags. An JAHWE (Ich bin Der Ich Bin für euch Da) kann sich die Selbst- und Nächstenliebe ausrichten wie nach einem Kompass. Sie gehören zusammen. Die Gottesliebe lässt heilende Selbst- wie Nächstenliebe zu: Wenn Gott mich so sehr liebt, wie könnte ich mich dann nicht lieben? Und wenn diese Liebe allen anderen Menschen ebenso gilt, wie könnten mir die anderen Menschen dann egal sein? Die Gottesliebe bringt beides in die Waage, sodass die Selbstliebe nicht zum Egoismus wird und die Nächstenliebe nicht zur Selbstaufgabe. Worum wir mit vielen Regelungen und Gedanken in unserem Alltag ringen, ist hier auf geniale Weise auf den Punkt gebracht. Gott sei Dank!
Ich wünsche uns allen einen frohen und gesegneten Sonntag und eine Woche, in der wir viel Liebe geben und viel Liebe erfahren dürfen!
Maria Schmale