13. Sonntag im Jahreskreis, 28.06.2020
Zum Evangelium nach Matthäus 10, 37 – 42
Während der Corona-Zeit hat der Bischof von Essen (und andere auch) Dispens vom Sonntags-Gebot erteilt. Anders ausgedrückt: Die grundsätzliche Regel, dass Christen sonntags einen Gottesdienst aktiv aufsuchen sollten, wenn es ihnen irgendwie möglich ist, ist aufgehoben. Für manche Menschen mit großem Traditionsbewusstsein ist das mehr als überraschend, ungewohnt und bisweilen überaus schmerzhaft. Der Besuch eines Gottesdienstes ist nicht nur Gewohnheit, sondern Pflicht, so wurde es früher streng formuliert und gelebt.
So richtig überzeugend fand ich das nie. Warum sollte ausgerechnet der größte Botschafter einer unfassbaren Liebe den Glauben daran seiner Gemeinde mit Zwang aufdrängen? Wenn ich zur Kirche muss, aber nicht will, dann ändert auch ein Gebot nichts daran: In diesem Gottesdienst werde ich Gott nicht aufnehmen.
Aber wo nehme ich ihn denn dann auf? Auf Youtube? Als WhatsApp-Nachricht? Beim Anruf einer Freundin oder eines Freundes?
Durchaus. Im Evangelium des heutigen Sonntages steht keine einzige Silbe von einer Sonntagspflicht. Und ich bin mir einigermaßen sicher, dass man das auch nicht eindeutig dadurch umdeuten könnte, wenn man auf die Bildersprache der Bibel verweist. Liturgie kannte Jesus, wenngleich eher die jüdische. Und auch davon steht nichts im Text. Wo also nimmt man einen Propheten auf, weil er Prophet ist? Oder einen Gerechten, weil er ein Gerechter ist?
Jesus gebraucht das Bild eines Bechers mit Wasser. Man muss niemanden beherbergen, auch keine eigenen Reichtümer aufwenden. Aber in seinem Wirken den Anderen erkennen, seine Bedürfnisse wahrnehmen und sich um diesen Anderen kümmern. Ihn mit Aufmerksamkeit beschenken. Das ist nicht das schwere Kreuz, aber ein Splitter davon, den man dann trägt. Und es richtet den Blick nicht nur auf die eigenen Bedürfnisse, sondern auch auf diejenigen der anderen Menschen. „Schreib ihm einen Brief“, sagte jemand zu mir, „damit er merkt, dass er nicht vergessen ist.“ Die Bitte passte gar nicht zu meinem Tagesplan und auf den ersten Blick wusste ich nicht einmal ansatzweise, was ich schreiben sollte. Dann nahm ich mir Zeit und schrieb einen Brief. Die Reaktion war herzerwärmend. Die paar Tropfen Tinte und Herzblut, die ich auf das Papier gebracht hatte, kamen doppelt und dreifach zurück.
Nachfolge heißt wohl, dass ich Abschied nehmen muss. Immer wieder. Von liebgewordenen Menschen, von Planungen, von eigenen Wünschen. Denn das, was ich mir wünsche, ist nicht immer das, was auch zugleich gut für andere ist. Aber in dem Loslassen eigener Interessen und der Ausrichtung auf einen anderen kann mehr Glück liegen als ich mir zuvor vorstellen konnte.
Einen Brief schreiben, eine nette Mail oder eine freundliche SMS, das sind die winzigen Splitter meines Kreuzes. Im Erzählen, im Zuhören, im Begleiten höre ich von der Vielfalt des Lebens, gebe meine Impulse hinzu und werde durch die Antworten bereichert. Das setzt keinen festen Ort voraus, an dem ich Gottes Wort höre und mich damit auseinandersetze. Das setzt auch keine feste Zeit voraus. Das setzt nur voraus, dass ich offen bin und bleibe für das, was Menschen bewegt und für das, von dem ich annehme, wohin eine Reise gehen sollte.
Wenn Sie heute in eine Kirche gehen, ist es sicher, dass Sie von Gottes Wort hören. Aber das Wort aufnehmen, sich damit beschäftigen und aus der Erkenntnis heraus Ihr Leben gestalten – das können Sie zu jeder Zeit und an jedem Ort. Vielleicht gleich im Treppenhaus. Oder morgen auf einem Parkplatz. In einem Gespräch. Oder auf einem Post-it mit einem Herzchen darauf. Im Vertrauen darauf, dass Gott in seinem Wort durch Sie lebendig wird. In dem, was Sie tun und in dem, was zu Ihnen zurück kommt.
Ihnen wünsche ich einen Sonntag der Begegnung. Egal, auf welchem Weg.
Tim Wollenhaupt