- Sonntag im Jahreskreis, 11.10.2015
Zum Evangelium nach Markus 10, 17-30
Mitunter hat man ja Glück im Leben. Das mag jeder unterschiedlich definieren, für mich ist es zum Beispiel ein Moment, in dem ich mit Menschen in Kontakt komme, die ganz anders als ich leben und mich in ihr Leben Einblick nehmen lassen.
Die Menschen, die mir beim heutigen Evangelium einfallen, sind diejenigen, die das Evangelium wortwörtlich genommen haben: Nonnen und Mönche. Warum ich in meinem Leben vielen davon begegnen durfte, weiß ich nicht, aber in allen Phasen meines Lebens hatte ich immer wieder punktuelle Kontakte mit Menschen, die sich ganz der Nachfolge Jesu verschrieben haben – auch unter Aufgabe jeglichen persönlichen Besitzes. Und so kam ich immer wieder mit Menschen in Berührung, für die sich manche Probleme nie stellten. Was soll ich anziehen? Ist das noch chic genug für den Anlass, zu dem ich mich herausputzen will? Kann ich in diesem Auto zu diesem Empfang fahren, muss ich es zuvor waschen lassen oder soll ich doch lieber einen Leihwagen nehmen? Ist meine Wohnung repräsentativ genug oder soll ich in eine besondere Örtlichkeit, einer Eventlocation zum Beispiel, einladen?
Die Ordenstracht passt immer. Ein feierlicher Rahmen? Klosterräume und –garten. Auto? Wird gar nicht erwartet. Eine Ordensschwester beging ihren neunzigsten Geburtstag. Angezogen wie immer, nur das Lächeln war eine Spur intensiver. Feierliche Location? Nein, aber eine besonders herzliche Predigt beim Dankamt in der Kirche. Zuwendung als Geschenk für denjenigen, der sich selbst an die Menschen hingibt.
Auf den ersten Blick klingt es unerhört, was Jesus verlangt: Gib Dein Vermögen auf und folge mir nach. Und doch kann es ein kleiner Hinweis sein. Es kommt nicht darauf an, wie viel Du hast und wie viel Du davon spendest. Es kommt darauf an, ob das, was Du hast, Dich von dem ablenkt, was Du brauchst. Und Jesus lenkt den Blick darauf, dass kein irdischer Besitz von Bedeutung ist, sondern Zuwendung. Umso deutlicher wird das, als ihm Kinder gebracht werden, die er durch Handauflegung segnen soll. Ein Kind mit leeren Händen, ohne erworbene Verdienste, ohne Vermögen, ohne Wertgegenstände und Sicherheiten – solchen Menschen wendet sich Jesus in Liebe zu, da ihnen nichts im Weg steht, um das Reich Gottes zu erlangen. Und dieses Reich ist nicht ein prachtvoller Palast, in dem man dereinst einzieht, nachdem man sich einen repräsentativen Teil erarbeitet hat, dieses Reich begegnet mir bereits hier auf Erden. Wenn ich ein Lächeln schenke und ein Lächeln ernte. Wenn mir jemand begegnet, der mich erdet. Der mir mit seinem Leben zeigt, dass es auch ganz anders geht und wie man in der heutigen Realität Reichtum ganz anders definieren kann.
Nicht jeder muss sein Vermögen hingeben, das ist die Lehre, die ich aus diesem Evangelium ziehe. Aber Gott frei und unverstellt begegnen zu können wie ein Kind – das kann mir einen Reichtum eröffnen, der nicht von dieser Welt ist.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen bereichernden Sonntag
Tim Wollenhaupt
Die Rubrik Impuls zum Sonntag – gibt Frauen und Männern aus unserer Gemeinde die Möglichkeit, ihrem priesterlichen und prophetischen Auftrag Ausdruck zu verleihen. An dieser Stelle finden Sie in jeder Woche neu persönliche Gedanken zum Evangelium des jeweiligen Sonntags – individuelle Lebens-und Glaubenszeugnisse von Menschen, die versuchen, ihr Leben aus der Kraft der Taufe anzunehmen und zu gestalten.