- Sonntag der Osterzeit, 19.04.2015 – Zum Evangelium nach Lukas 24, 35-48
Waren Sie schon einmal Zeuge? Haben Sie schon einmal einen Zeugen befragt? Kennen Sie den Begriff des Kreuzverhörs?
Die Jünger werden im heutigen Evangelium beauftragt, Zeugnis zu geben. Im wahrsten Sinne des Wortes sollen sie sich ins Kreuzverhör stellen. Sie sollen aktiv werden und von ihrer Überzeugung sprechen, dass Jesus nicht nur am Kreuz gestorben ist, sondern vom Tod auferstand.
Nehmen wir an, heute wäre eine Gerichtsverhandlung und ein Zeuge müsste erklären, dass ihm jemand begegnet ist, der sicher verstorben ist. Dessen Wunden der Zeuge gesehen habe. Und obwohl der Zeuge bei der Grablegung dabei war, hat er wenige Tage später mit dem eigentlich Toten gemeinsam gegessen. Welches Gericht käme heute zu dem Schluss, der Zeuge sei „glaubwürdig“ gewesen? Dieses Wort „glaubwürdig“, es ist im doppelten Sinn bemerkenswert. Einerseits hält der Zeuge etwas für würdig, dass er es als Wahrheit glaubt. Und er muss so überzeugt sein und überzeugend wirken, dass ein unbeteiligter Dritter den Zeugen für würdig hält, dass man ihm die Erzählung abnimmt.
Die Jünger werden im Evangelium als Augenzeugen dargestellt. Ein Gericht hält solche Aussagen für wertvoller als die Aussagen der so genannten Zeugen vom Hörensagen, also Menschen, die nicht selbst etwas wahrgenommen haben, sondern denen von anderen Wahrnehmungen berichtet wurde. Wenn wir das Evangelium lesen, begegnet uns ein alter Text, wie ein Zeuge dem Gericht begegnet. Die Leser sind die Richter und der Text ist die Zeugenaussage. Jedem Gericht würde man mit Verständnis begegnen, wenn es an dieser Zeugenaussage Zweifel anmeldet, oder?
Der Vorteil der Bibel ist, dass sie ihre Aussage nicht mehr ändert. Das Evangelium, alle vier Evangelien und alles im Neuen Testament, „bleibt bei seiner Aussage“. Ein Gericht urteilt, obwohl es selbst nicht das zu beurteilende Geschehen unmittelbar wahrgenommen hat. Im Kern ändern daran auch die verschiedenen Übersetzungen des Urtextes nichts. Aus uns Lesern wird das Gericht einerseits und zugleich ein Zeuge für die Gegenwart. So wie ein Richter auf Nachfrage nach dem Urteil seine im Urteil geäußerte Ansicht bezeugen muss. Damit bin ich Ziel des Kreuzverhörs. Bin ich überzeugt davon, dass Jesus auferstanden ist? Bleibe ich standhaft bei dieser Aussage? Schlicht könnte ich zur Gegenfrage ausholen: Kann jemand das Gegenteil beweisen? Bezeugt jemand den endgültigen Tod Jesu? Das aber wäre ein recht schwacher Beweis. Aber ich werde berührt von vielfältigen Formen einer großen Liebe. Einer Liebe, die ich nicht erklären kann. Einer Liebe, die mich über den Tod hinaus mit Menschen verbindet. Ich empfinde das als einen Teil von Gottes Liebe. Dafür bin ich gerne Zeuge.
Für Ihr Leben wünsche ich Ihnen eine überzeugende Begegnung mit Seiner Liebe.
Tim Wollenhaupt
Die Rubrik Impuls zum Sonntag – gibt Frauen und Männern aus unserer Gemeinde die Möglichkeit, ihrem priesterlichen und prophetischen Auftrag Ausdruck zu verleihen. An dieser Stelle finden Sie in jeder Woche neu persönliche Gedanken zum Evangelium des jeweiligen Sonntags – individuelle Lebens-und Glaubenszeugnisse von Menschen, die versuchen, ihr Leben aus der Kraft der Taufe anzunehmen und zu gestalten.