Zum Evangelium Mt 1, 18-24 am 4. Adventssonntag – 18.12.2022
Während er noch darüber nachdachte, erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sagte: Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist. Sie wird einen Sohn gebären; ihm sollst du den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen.
Die entscheidende Botschaft ergeht im Traum. Wenn es etwas Typisches für den Traum gibt, dann die Tatsache, dass Träume vom Menschen nicht produziert werden können, er kann sie nicht steuern oder programmieren. Für den Erfinder der Psychoanalyse, Sigmund Freud, war der Traum, der „königliche Weg“ zum Unbewussten, jener seelischen Wirklichkeit, von der aus mehr Handlungen und Reaktionen bestimmt werden als uns bisweilen lieb ist. Biblische Schriftsteller wussten nicht um diese seelischen Abläufe im Sinne der Psychoanalyse, aber sie wussten, wie die menschliche Seele „geht“. Sie nehmen den Traum als Zeichen für die Wirklichkeit, die der Mensch selbst nicht machen kann, als Mittel, um seine Botschaft rüber zu bringen: was hier geschieht ist nicht von Menschen gemacht, das kann nur vom Menschen empfangen werden.
Auf die Welt der Träume zu lauschen, das steht jener Lebenseinstellung entgegen, dass im Leben vom Menschen Alles selbst gemacht werden kann und muss. Alles selbst in der Hand haben, alles selbst kontrollieren, alles selbst machen – das wollen wir Menschen, praktisch die Stelle eines Gottes einnehmend.
So sehr Selbstverantwortung und Selbstgestaltung von entscheidender Bedeutung sind, spätestens in dem Moment, in dem sich jemand verliebt, weiß er, dass ihm das ganz einfach passiert ist, zugefallen, wie es englisch ganz treffend ausgedrückt wird: „fallen in love“. Der Traum des Josef erinnert uns an diese Wirklichkeit, dass es Dinge in unserem Leben gibt, die wir nicht machen können, die uns zufallen, Freude und Leid, und wo es darauf ankäme, der Sprache des Engels zu lauschen, ja zu lauschen, nach innen, auf die inneren Schwingungen, auf die kaum hörbaren Töne. Dazu bedarf es immer wieder Momente der Stille, des Rückzugs, des Nachdenkens, wie Josef es tat.
Keiner hat den Überblick über sein ganzes Leben, oft ist das Hier und Jetzt, das Heute, der entscheidende Moment. Dabei Sein und Mittun bei einem größeren Ganzen, ohne in der Mitte zu stehen. Auf den Weihnachtsbildern steht Josef meistens irgendwo am Rande, mit nachdenklichem, ja bisweilen bekümmertem Gesicht, fehlt ihm doch nach wie vor der große Über- und Durchblick. Entscheidend ist der Augenblick, da weiß Josef, was zu tun ist – aus der Weisung des Engels. Der Engel darf auch für das innerste Selbst des Menschen stehen, jene Mitte und Tiefe, wo der Mensch selbst weiß, was für ihn selbst dran ist, wo er sich auch für andere einlässt auf das, von dem er meint, dass es jetzt für ihn und für andere gut ist.
Josef, ein Gerechter, der auf dem rechten Weg geht, der über Gottes Weisung nachsinnt bei Tag und bei Nacht. Nachsinnen ist angesagt, und nicht voreilig alles abhaken, verdrängen, was sich ungewöhnlich, nicht erwartet und nicht geplant in unser Leben eindrängt. Nachdenklichkeit als adventliche Haltung, Dabeisein, zur Stelle sein, Mitwirken, ohne im Mittelpunkt stehen zu müssen, das alles könnten wir von Josef lernen. Wir könnten von ihm lernen, wie Gott kommt – und das nicht nur im Advent.
Josef Winkler