27. Sonntag im Jahreskreis, 08.10.2023
Zum Evangelium nach Matthäus 21, 33 – 44
Hört noch ein anderes Gleichnis: Es war ein Gutsbesitzer, der legte einen Weinberg an, zog ringsherum einen Zaun, hob eine Kelter aus und baute einen Turm. Dann verpachtete er den Weinberg an Winzer und reiste in ein anderes Land.
34 Als nun die Erntezeit kam, schickte er seine Knechte zu den Winzern, um seine Früchte holen zu lassen. 35 Die Winzer aber packten seine Knechte; den einen prügelten sie, den andern brachten sie um, wieder einen anderen steinigten sie. 36 Darauf schickte er andere Knechte, mehr als das erste Mal; mit ihnen machten sie es genauso. 37 Zuletzt sandte er seinen Sohn zu ihnen; denn er dachte: Vor meinem Sohn werden sie Achtung haben.
38 Als die Winzer den Sohn sahen, sagten sie zueinander: Das ist der Erbe. Auf, wir wollen ihn umbringen, damit wir sein Erbe in Besitz nehmen. 39 Und sie packten ihn, warfen ihn aus dem Weinberg hinaus und brachten ihn um.
40 Wenn nun der Herr des Weinbergs kommt: Was wird er mit jenen Winzern tun? 41 Sie sagten zu ihm: Er wird diese bösen Menschen vernichten und den Weinberg an andere Winzer verpachten, die ihm die Früchte abliefern, wenn es Zeit dafür ist.
42 Und Jesus sagte zu ihnen: Habt ihr nie in der Schrift gelesen: Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, / er ist zum Eckstein geworden; / vom Herrn ist das geschehen / und es ist wunderbar in unseren Augen?
43 Darum sage ich euch: Das Reich Gottes wird euch weggenommen und einem Volk gegeben werden, das die Früchte des Reiches Gottes bringt. 44 Und wer auf diesen Stein fällt, wird zerschellen; auf wen der Stein aber fällt, den wird er zermalmen.
Was mich als erstes Detail am Evangeliumstext stutzig macht, ist die bemerkenswerte Auffassung vom Erbrecht: Diejenigen, die sich anschicken, den Erben umzubringen, haben vor, dessen Erbteil zu bekommen und unter sich aufzuteilen. Abgesehen davon, dass es nach unserem Recht schon keinen Automatismus gäbe, der eine Übertragung des Erbrechts auf die Mörder des Erben vorsähe – es fehlt auch am Erbfall, denn der Herr des Weinbergs lebt ja offensichtlich noch.
Und da der Herr des Weinbergs ein Bild für einen Gott des Lebens ist, der nicht versterben kann, wird der Erbfall nie eintreten. Stattdessen vergleicht sich Jesus, die menschgewordene Duldsamkeit, mit einem Stein, an dem man entweder zerbricht oder der zermalmt. Das finde ich doch einigermaßen überraschend.
Vielleicht ist es ein Hinweis auf die Fragilität der Beziehung von Gott zu den Menschen. Er bietet den Menschen alles Gute bis über den irdischen Tod hinaus. Aber eben nicht unbedingt. Wer das Versprochene schon auf Erden mehr als schlecht verwaltet, dem blüht offensichtlich nichts vom Versprochenen. Wenn man den Text des Evangeliums weiterliest, findet sich die Zusatzinformation, dass die Pharisäer erkennen, eigentliche Adressaten des Textes zu sein. Jesus gibt den Glaubenslehrern durch die bildliche Blume zu verstehen, dass sie ihrer Aufgabe, den Glauben zu vermitteln, also Gottes Weinberg zu bestellen, nicht nur nicht nachkommen, sondern in sträflicher Weise das Gegenteil bewirken. Eine Geschichte der Warnung aus alter Zeit?
Oder gibt es auch heute noch Verwalter im Weinberg Gottes, die das Gegenteil dessen bewirken, was sie eigentlich sollen? Die Antwort auf diese Frage kann sich jeder selbst geben und damit ist das Gleichnis nicht eine Warnung, die sich allein an die Pharisäer unter den Juden widmet. Sie wirkt bis heute fort und trifft jeden. Da alle gleichermaßen durch die Taufe zum Priestertum berufen sind, sind alle Getauften zugleich Winzer im Weinberg Gottes. Und somit weist Jesus darauf hin, dass es eine Bedingung gibt, Teil des Gottesreiches zu werden.
Was ich halbwegs beruhigend finde, ist die Tatsache, dass es schon eine signifikante Verfehlung braucht, um aus dem Gottesreich ausgeschlossen zu werden, denn die Latte liegt im Gleichnis bei mehreren Morden auch im übertragenen Sinne hoch. Aber wie hoch sie tatsächlich liegt, entscheidet im Zweifel nicht der Winzer, sondern der Herr des Weinbergs.
Ihnen und mir wünsche ich einen grünen Daumen im Wirken, eine reiche Ernte und ein Bewusstsein dafür, dass vieles von dem, mit dem wir umgehen, nicht uns gehört. Also wünsche ich uns Geschick im Umgang mit Gottes Geschenk.
Tim Wollenhaupt