27. Sonntag im Jahreskreis, 04.10.2020
Zum Evangelium nach Matthäus 21, 33 – 44
Weinberge sind beliebte Bilder für die Arbeit, in der man Gottes Dienst tut. Und hier kommt ein weiteres Bild hinzu. Ebenso leicht nachvollziehbar und anschaulich: Der Bau eines Hauses. Wer Natursteinmauern kennt, weiß, dass man nicht jeden Stein für jeden Zweck gebrauchen kann. Vor allem dann nicht, wenn sich ein modernes Gebäude heutiger Zeit nur noch aus Stahl und Glas zusammensetzt.
Aber bleiben wir beim Bild des Steinhauses. Was in dem Evangelium in schlichten Worten angedroht wird, ist nicht eine mögliche Strafe, die man abschätzen kann. Es geht nicht um ein Bußgeld oder eine zeitlich befristete Haft. Jesus verweist mit seinen Bildern darauf, dass uns ein Leben in Fülle verheißen ist in einer wunderreichen und beglückenden Umwelt. Das ist das Vorspiel für die Ewigkeit in Gottes Nähe. Wir haben es in den Händen, allein, weil es uns geschenkt wurde. Als Gabe aus Gnade, wie Paulus es erklärt, nicht, weil wir durch unser Tun einen Anspruch darauf hätten. Unabhängig davon, ob wir auf das Handeln der Vergangenheit blicken oder auf jenes, welches wir in der Zukunft noch vorhaben.
Jesus weist darauf hin, dass Gott um seine Macht weiß. Und dass er seine Gnade auch ohne Probleme anderweitig verteilen kann. Beim Weinberg bleibt dann der kurzfristige Gewinn am angeeigneten Wein, beim Haus ein vorübergehendes Wohnen. Aber es hat Grenzen.
Das, was aus dem verworfenen Stein wird, ist nicht etwa ein unbeachtenswerter Mauerteil, sondern ein Eckstein. Ein solcher Stein ist augenfällig, er ist besonders solide, er trägt mehr Druck und ist bei traditioneller Bauweise auch meist besonders sorgfältig ausgewählt, vielleicht sogar umfangreich mit Steinmetzarbeiten verziert.
Das, was wir aus freien, egoistischen Gründen verwerfen, ist nicht wertlos. Es ist aus Gottes Sicht wertvoll und bei korrekter Prüfung mehr als wert, geschätzt zu werden. Wenn wir das Bild des Weinberges nehmen, der uns anvertraut ist und wir uns fragen, wie wertschätzend wir mit der uns anvertrauten Welt umgehen, dann kommt es mir so vor, als sei „Fridays for Future“ eine überaus moderne Version eines zur Umkehr aufrufenden Johannes. Mit dem heutigen Evangelium zusammen folgt daraus: Wenn wir nicht umkehren, droht der Totalverlust. In der Tat steht es mit unserer Welt und mit unserer Gesellschaft nicht zum Besten. Eine Umwelt, die lediglich kurzsichtig ausgebeutet wird, eine Gesellschaft, die dem Egoismus huldigt, das geht nach meinem Dafürhalten in dieselbe Richtung wie die Bibelworte es deuten. Wir haben uns den Weinberg angeeignet, ohne das Recht dazu zu haben. „Macht euch die Erde untertan“ heißt nicht, alle Ressourcen zu vernichten. Auch ein mittelalterlich empfundener Untertan hatte Anspruch auf Schutz durch seinen Lehnsherrn. Das Evangelium dieses Sonntages mahnt uns, daran zu denken, dass wir keinen Anspruch auf die Gnade haben. Aber die Verpflichtung, uns der Gnade würdig zu erweisen.
Hinterlassen wir also mehr als nur einen ökologischen Fußabdruck. Wirken wir im Weinberg. Nicht nur zum eigenen Nutzen, sondern auch zum Erhalt des Berges insgesamt. Am besten nicht aus Sorge vor dem Verlust, sondern aus dem Bewusstsein der Verantwortung heraus.
Eine bewusste Freude an einem geschenkten Sonntag wünscht Ihnen
Tim Wollenhaupt