Zum Evangelium Mt 13, 1-23 am 15. Sonntag im Jahreskreis (12.7.2020)
+ Aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus.
1 An jenem Tag verließ Jesus das Haus
und setzte sich an das Ufer des Sees.
2 Da versammelte sich eine große Menschenmenge um ihn.
Er stieg deshalb in ein Boot und setzte sich.
Und alle Menschen standen am Ufer.
3 Und er sprach lange zu ihnen in Gleichnissen.
Er sagte: Siehe, ein Sämann ging hinaus, um zu säen.
4 Als er säte,
fiel ein Teil auf den Weg
und die Vögel kamen und fraßen es.
5 Ein anderer Teil fiel auf felsigen Boden,
wo es nur wenig Erde gab,
und ging sofort auf,
weil das Erdreich nicht tief war;
6 als aber die Sonne hochstieg,
wurde die Saat versengt
und verdorrte, weil sie keine Wurzeln hatte.
7 Wieder ein anderer Teil fiel in die Dornen
und die Dornen wuchsen und erstickten die Saat.
8 Ein anderer Teil aber fiel auf guten Boden
und brachte Frucht,
teils hundertfach, teils sechzigfach, teils dreißigfach.
9 Wer Ohren hat, der höre!
10 Da traten die Jünger zu ihm
und sagten: Warum redest du zu ihnen in Gleichnissen?
11 Er antwortete ihnen:
Euch ist es gegeben,
die Geheimnisse des Himmelreichs zu verstehen;
ihnen aber ist es nicht gegeben.
12 Denn wer hat,
dem wird gegeben
und er wird im Überfluss haben;
wer aber nicht hat,
dem wird auch noch weggenommen, was er hat.
13 Deshalb rede ich zu ihnen in Gleichnissen,
weil sie sehen und doch nicht sehen
und hören und doch nicht hören und nicht verstehen.
14 An ihnen erfüllt sich das Prophetenwort Jesájas:
Hören sollt ihr,
hören und doch nicht verstehen;
sehen sollt ihr,
sehen und doch nicht einsehen.
15 Denn das Herz dieses Volkes ist hart geworden.
Mit ihren Ohren hören sie schwer
und ihre Augen verschließen sie,
damit sie mit ihren Augen nicht sehen
und mit ihren Ohren nicht hören
und mit ihrem Herzen
nicht zur Einsicht kommen
und sich bekehren
und ich sie heile.
16 Eure Augen aber sind selig,
weil sie sehen,
und eure Ohren, weil sie hören.
17 Denn, amen, ich sage euch:
Viele Propheten und Gerechte haben sich danach gesehnt
zu sehen, was ihr seht,
und haben es nicht gesehen,
und zu hören, was ihr hört,
und haben es nicht gehört.
18 Ihr also, hört, was das Gleichnis vom Sämann bedeutet.
19 Zu jedem Menschen, der das Wort vom Reich hört
und es nicht versteht,
kommt der Böse
und nimmt weg, was diesem Menschen ins Herz gesät wurde;
bei diesem ist der Samen auf den Weg gefallen.
20 Auf felsigen Boden ist der Samen bei dem gefallen,
der das Wort hört und sofort freudig aufnimmt;
21 er hat aber keine Wurzeln, sondern ist unbeständig;
sobald er um des Wortes willen bedrängt oder verfolgt wird,
kommt er sofort zu Fall.
22 In die Dornen ist der Samen bei dem gefallen,
der das Wort hört,
und die Sorgen dieser Welt
und der trügerische Reichtum ersticken es
und es bleibt ohne Frucht.
23 Auf guten Boden ist der Samen bei dem gesät,
der das Wort hört und es auch versteht;
er bringt Frucht –
hundertfach oder sechzigfach oder dreißigfach.
Das heutige Evangelium ist auf den ersten Blick besonders eingängig. Ich erinnere mich daran, dass ich an einem Mittwochvormittag in der ersten Stunde beim Schulgottesdienst der katholischen Schüler*innen der Kirchschule weilte, Pfarrer Erlemeier uns dieses Evangelium etwas abgekürzt vortrug und es im Anschluss daran in seiner sehr zugewandten Art mit uns Schüler*innen auslegte. Nachmittags war ich bei meinen Großeltern und berichtete von diesem Gleichnis vom Sähmann, denn es hatte auf mich Eindruck gemacht. Auf den zweiten Blick kann dieses Evangelium sogar gefährlich sein, denn Vers 15 war in der Vergangenheit ein Einfallstor für Antisemitismus geworden, da hier das Stilmittel der Gegenrede nicht als solches verstanden wurde, weil es so nicht mehr zu den gebräuchlichen sprachlichen Mitteln gehörte. „Denn das Herz dieses Volkes ist hart geworden!“ Hier zeigt sich einmal mehr, wie wichtig es ist, biblische Texte lesen zu lernen. Wie oft werden biblische Botschaften heute politisch und religiös missbraucht, in Brasilien oder den USA zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Umgang mit Corona, mit der Umweltzerstörung und dem Klimawandel.
Einen dritten Blick möchte ich auf dieses Evangelium richten, dass sich ja im Grunde selbst erklärt und deutet, wenn man sich darauf einlässt, dass Ackerbau im Palästina vor 2000 Jahren nicht mit der heutigen Hochleistungslandwirtschaft zu vergleichen ist. Auf diesen dritten Blick fällt mir die (soziale) Ungleichheit auf, die Jesus hier in diesem Evangelium darstellt. Dieses Evangelium verstehe ich als Anleitung zur Verkündigung der Frohen Botschaft!
Ich beschäftige mich seit meinem Studium anders als davor mit biblischen Texten, denn das Studium des Alten und Neuen Testamentes und der historisch kritischen Exegese, die Beschäftigung mit dem griechischen oder hebräischen Urtext der Bibel hat meinen Umgang damit verändert. Wie ich schon eingangs erwähnte, bin ich kirchlich oder besser katholisch sozialisiert worden. Ich bin damit vertraut, auch ohne mein Theologiestudium, biblische Texte zu hören oder zu lesen. Ich bin damit vertraut, dass diese Texte von Männern und zum Glück auch von Frauen in Form einer Predigt oder Katechese ausgelegt werden. Ich habe in der Gemeindearbeit und in der Arbeit im Bistum Methoden kennengelernt, mit denen ich mich biblischen Texten annähern kann. Es bereitet mir Freude.
Viele von uns, die noch regelmäßig oder häufiger in eine Kirche gehen und in der Gemeinde- oder Pfarreiarbeit tätig sind, werden ähnliche Bibelerfahrungen haben. Aber haben Sie schon einmal an einem Gottesdienst teilgenommen, der von vielen Menschen besucht worden ist, die nicht kirchlich sozialisiert worden sind. Wie deutlich das auffällt, wenn zur Erstkommunion plötzlich viele „erwachsene“ Männer wie Türsteher hinten in der Kirche stehen und zwischendurch für eine Zigarette die Veranstaltung verlassen müssen? Wenn hochgestylte und topgeschminkte Damen unsicher mit ihrem Hund nach einem Platz in der Kirche suchen? Wenn Menschen Heiligabend verlegen oder auch desinteressiert feststellen, dass ihnen die Abläufe, Gebete und Lieder im Gottesdienst völlig unbekannt sind? Haben Sie sich auch schon einmal darüber gewundert oder gar geärgert, wenn eine Hochzeitsmesse oder ein Auferstehungsamt nur von einem kleinen Teil der Gottesdienstversammlung mitgefeiert werden kann? Ist denn das Herz dieses Volkes hart geworden?
Nein, ich glaube das nicht! Vielleicht hat es mit den Augen, den Ohren und den Herzen des Volkes zu tun, die für die Botschaft nicht (mehr) offen sind. Vielleicht liegt das daran, dass die Botschaft nicht mehr „kompatibel ist“ mit den Augen, Ohren und den Herzen des Volkes. Jesus reagierte genau auf diesen Sachverhalt, indem er seine Botschaft mit Hilfe von Gleichnissen verständlicher und zugänglicher machte, also auf Augenhöhe brachte!
Diese Gleichnisse funktionieren auch heute noch häufig, wenn wir den Schlüssel dazu haben. Kann es aber sein, dass wir als Kirche den Zugang zu den Augen, Ohren und Herzen des Volkes verloren haben?! Ich bin davon überzeugt, denn auch mir als engagiertem Christen fällt es seit meiner Jugend zunehmend schwerer einen Zugang „zu Kirche“ zu finden. Da ist zum einen die Tatsache, dass in meiner Kirche, 50 % der Menschen vom priesterlichen Dienst ausgeschlossen sind. In einer aufgeklärten Welt, in diesem Deutschland, in dem wir uns auf die Würde des Menschen berufen und auf die Gleichheit der Menschen – und das gehört auch dazu, immer noch darum kämpfen, dass Männer und Frauen die gleiche Bezahlung erhalten, – ist das nicht mehr vermittelbar. Der Pflichtzölibat ist Menschen nicht mehr vermittelbar und aus meiner Sicht ebenfalls biblisch nicht begründet. Wie schwer ist es, (jungen) Menschen den offiziellen Umgang von Kirche mit Sexualität, Homosexualität und Transgenderidentität zu vermitteln. Wie viel Schmerz ist Menschen hier zugefügt worden?!
Kirche, und hier meine ich nicht nur die katholische Kirche, scheint auf viele Fragen der heutigen Zeit zu wenig Antworten zu haben. Der Grund dafür liegt in der Beschäftigung mit sich selbst! Kirche hat die Menschen, das Volk aus dem Blick verloren und dadurch deren Augen, Ohren und Herzen verloren. Denn die Reden der Kirchen haben oft den Bezug zu ihren Taten verloren.
Als Religionslehrer wird mir ständig gespiegelt, was „das Volk“ mit Kirche assoziiert: Moralpredigten versus Kindesmissbrauch! Das sind meine alltäglichen Erfahrungen als Vertreter der Kirche.
Evangelikale Christen in Brasilien und den USA werden als Leugner wissenschaftlicher Erkenntnisse und als Kirche wahrgenommen. Auch hier zeigt sich, dass die Kirche in Lateinamerika die Augen, Ohren und Herzen der Menschen aufgrund der Beschäftigung mit sich selbst verloren hat und zunehmend von evangelikalen Fundamentalisten ersetzt wird. Ich bin als Mitglied des Kirchenvorstandes und im Rahmen des Pfarreientwicklungsprozesses mit vielen Dingen beschäftigt, die sich mit Finanzen befassen. Finanzen stehen im Mittelpunkt der Planung unserer Pfarrei für die nähere und weitere Zukunft. Die Vorgaben des Bistums sind darauf ausgerichtet, möglichst kurzfristig liquide zu sein. Langfristige Erwägungen sind aktuell eher nicht gerne gesehen.
Kirchliche Jugendarbeit und Elementarpädagogik sind wesentliche Faktoren, um Saat zu legen für die kommenden Generationen. Diese Saat wird zunehmend nicht mehr ausgebracht, aus finanziellen Erwägungen. Fehlende Jugendarbeit, schrumpfende Anzahl von kirchlichen Kindergärten und andere Rückzugsbereiche von Kirche sind eine weitere Ursache dafür, dass wir Augen, Ohren und Herzen des Volkes verlieren.
Ich nehme aber auch etwas anderes wahr. Kirche(n) werden aber auch anders wahrgenommen. Viele Jugendliche und junge Erwachsene nehmen kirchliche Hilfsangebote dankbar wahr. In meiner täglichen Arbeit in der ehrenamtlichen schulischen Seelsorge kann ich jungen Menschen durch Taten zeigen, was Christsein auch ist. Angebote der Caritas, der Diakonie und von anderen kirchlichen Institutionen, Sozialdiensten und Vereinen sind Aushängeschilder des Christseins. Hier sind oft die Botschaft und die Handlungen authentisch.
Diese Authentizität habe ich auch in Piauí in Brasilien wahrgenommen. Dort arbeitet Heinrich Hegemann aus Wattenscheid als Priester. Viele Priester in Brasilien verstehen sich dort als etwas Besonderes. Priester zu werden bedeutet dort, einen deutlichen sozialen Aufstieg zu vollziehen. Dies zeigt man auch deutlich, indem man als Priester ein großes Auto als Statussymbol nach außen zeigt. Gleichzeitig verlieren diese Priester aber genau dadurch den Zugang zur Bevölkerung, die sich in Piauí, dem ärmsten Bundesstaat Brasiliens, diese Statussymbole niemals leisten könnte. Padre Enrique lebt mittendrin. Er fährt kein Statussymbol, sondern einen alten Pickup, mit dem man in dem riesigen Pfarreigebiet auch bei schlechtem Wetter vorankommt und ggf. auch für die Menschen etwas transportieren kann. Er ist nah dran an den Menschen, genau wie ein paar Diakone, die einfache Bauern oder Handwerker sind, und ihn bei seiner Arbeit unterstützen. Sie verstehen die Menschen und begegnen ihnen auf Augenhöhe.
Deshalb rede ich zu ihnen in Gleichnissen,
weil sie sehen und doch nicht sehen
und hören und doch nicht hören und nicht verstehen.
Auf Augenhöhe?!
Thomas Schlott