Sonntag Christkönig, 24.11.2019
Zum Evangelium nach Lukas 23, 35 – 43
Ein ziemlich hilfloser Helfer, dieser Heiland am Kreuz. Gefesselt, auf dem Weg in den qualvollen Tod, verhöhnt und mit Essig getränkt. Ein Salatblatt auf dem Teller hat mehr Freiheit als Jesus am Kreuz. Und dieser Jesus soll Gottes Sohn sein? Unfähig, erbärmlich, gedemütigt und demnächst vergessene Geschichte.
So könnte man es damals bei der Kreuzigung empfunden haben. Und so könnte man es auch heute noch annehmen. In den meisten Kirchen hängen gleich mehrere Kreuze. Manchmal liegen sie für die Gemeinde nahezu unsichtbar auf dem Altar, manchmal nehmen sie überdimensionalen Platz ein, mal sind sie aus Holz und dreidimensional und mal sind sie mit Gold auf eine Wand gebracht. In vielen Fällen hängt das personifizierte Leiden am Kreuz. Mir kommen viel mehr Bilder vom sterbenden Jesus in die Erinnerung als vom Auferstandenen. Komisch eigentlich für eine Kirche, deren wichtigstes Fest nicht Weihnachten in wenigen Wochen ist, sondern Ostern. Das Fest der Überwindung. Das Fest des Lebensgeschenkes. Das Fest, an dem das Leben den Tod verhöhnt.
Der Schluss des Evangeliums ist ein machtvolles Statement des scheinbar Machtlosen. Dem menschlichen Tod entgegengehend sagt Jesus im Bewusstsein des göttlichen Lebens: Soviel ist sicher, du wirst mit mir leben. Eine Handreichung mit Worten. Eine Zusage über das Leiden hinweg. Sicherheit in auswegloser Situation.
Den Tod kann ich erleben. Und da, wo ich persönlich ihn bisher erlebt habe, gab es beides: Elend, Alleinsein, Verzweiflung ebenso wie ein Ruhen vor dem Frieden. Die Hand eines sterbenden Menschen ist nicht unbedingt kalt und leblos. Der Mensch schläft nicht einfach ein und ist ruhig. Bisweilen wirkt es so, als kämpfe auch in einem alten und kraftlosen Körper alles Vitale gegen das eintretende Ende. Ein Blick aus solchen Augen transportiert Angst, Ohnmacht und ein Hilfegesuch. Mit diesem Erleben bin ich nicht allein und daher verstehe ich, warum manch ein Kruzifix so aussieht, wie die Menschen, die ich schon gesehen habe. Genau deshalb finde ich ein leeres Kreuz so prägnant. Denn von einem Kreuz kann man abgenommen werden. Wie Jesus. Von einem Kreuz aus kann man beerdigt werden. Wie Jesus. Und ein Kreuz als Zeichen des Endes kann zurückbleiben, wenn man selbst in ein neues Leben geht. Mit Jesus.
Man kann zu erklären versuchen, warum sich die Gesichtszüge eines Menschen nach dem Tod entspannen. Man kann es überhöhen und behaupten, dieser Mensch habe seinen Frieden gefunden. Und man kann sich mit beiden Menschen am Kreuz identifizieren, die am Schluss des heutigen Evangeliums miteinander sprechen: Jesus, denk an mich. Wahrlich, ich sage dir, du wirst mit mir leben. In die Erbärmlichkeit meines Lebens, in den Schrecken meines unabwendbaren Todes hinein kommt die entspannende Zusage, dass das, was wir erleben können, nicht alles ist. Das ist kein hilfloser Heiland, sondern ein kommender König.
In der Taufe, die in St. Maria Magdalena unter einem Kreuz vollzogen wird, an dem ein Verstorbener und ein Auferstandener zugleich zu sehen ist, werden Menschen in die Gemeinschaft mit dem gerufen, der gesalbt ist zum König, Priester und Propheten. Wie er werden wir sterben. Und mit ihm werden wir leben.
Ihnen wünsche ich einen Sonntag im Bewusstsein lebendiger und königlicher Gemeinschaft
Tim Wollenhaupt