10. Sonntag im Jahreskreis, 07.06.2015 – Zum Evangelium nach Markus 3, 20-35
So ziemlich das einzige, was man sich nicht aussuchen kann, sind seine Verwandten. Sie sind da. Und in ganz vielen Fällen kann man nur sagen: Gott sei Dank!
Aber vermutlich kennt jeder einen Menschen in seiner Verwandtschaft, mit dem sich so recht nichts anfangen lässt. Es lässt sich kein Draht zu ihr finden oder es gibt absolut keine gleichen Interessen mit ihm. Die Ansichten sind seltsam und unverständlich. Andererseits gibt es jene, die nicht in einer verwandtschaftlichen Beziehung stehen, doch diese Menschen sind uns näher als die eigene Familie. Man kann mit ihnen über alles reden. Man weiß füreinander Rat, man sucht engagiert nach Auswegen aus kritischen Situationen. Man ist füreinander da. Und vielleicht kommt dann ein Gedanke auf wie: „Wir könnten auch Geschwister sein.“ Oder „Wenn Du keine eigenen Eltern hättest – ich würde Dich adoptieren.“
Wahlverwandtschaften nennt man das. Ein Verhältnis, welches von einem ganz besonderen Vertrauen geprägt ist. Vom Wissen umeinander und von dem Gefühl, genau zu merken, wie es diesem besonderen anderen Menschen geht. Selbst dann, wenn man ihn nicht sieht. Man merkt, dass seine Handschrift sich verändert hat oder man merkt ein verändertes Verhalten am Telefon, negativ wie auch positiv.
Mir fällt neben dieser „Verwandtschaftsthematik“ im heutigen Evangelium noch eine andere Erzählung ein. Ans Kreuz geschlagen sieht Jesus unter den Menschen seine Mutter Maria und den Jünger Johannes. Zu ihnen sagt er: „Siehe, deine Mutter. Siehe, dein Sohn.“ Beide Erzählungen zusammen genommen führen zu einem einheitlichen Bild: Jesus, und mit ihm Gott, ist die Herkunft gleichgültig. Nicht die Abstammung zählt im Verhältnis zu Gott, nicht die geografische Heimat, nicht die gesellschaftliche Stellung, das Geschlecht oder das Alter. Der Glaube zählt. Die Nähe zum menschenfreundlichen Gott, die Nachfolge im Leben – sie allein bestimmt.
Auf mich wirkt diese Aussage Jesu beruhigend. Du kannst sein, wo Du willst, Du kannst sein, wie Du willst. Wer an den lebendigen Gott glaubt, dem ist er nah wie ein begleitender und liebender Mensch. Ich darf mich in seiner Nähe wissen, weil er mir die Nähe zugesagt hat. Wohlgemerkt, nicht irgendwann: „Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.“ Jetzt, heute. Und auch noch morgen. Immer.
Ihnen wünsche ich, dass Ihnen jemand begegnet, der Ihnen wie eine Schwester oder ein Bruder oder eine Mutter ist. Nah, berührend, auf Ihrem Weg an Ihrer Seite. Ein Mensch, der mit Ihnen das Leben teilt. Und das Brot.
Tim Wollenhaupt
Die Rubrik Impuls zum Sonntag – gibt Frauen und Männern aus unserer Gemeinde die Möglichkeit, ihrem priesterlichen und prophetischen Auftrag Ausdruck zu verleihen. An dieser Stelle finden Sie in jeder Woche neu persönliche Gedanken zum Evangelium des jeweiligen Sonntags – individuelle Lebens-und Glaubenszeugnisse von Menschen, die versuchen, ihr Leben aus der Kraft der Taufe anzunehmen und zu gestalten.