8. Sonntag im Jahreskreis, 02.03.2025
Zum Evangelium nach Lukas 6, 39 – 45
39 Er sprach aber auch in Gleichnissen zu ihnen: Kann etwa ein Blinder einen Blinden führen? Werden nicht beide in eine Grube fallen? 40 Ein Jünger steht nicht über dem Meister; jeder aber, der alles gelernt hat, wird wie sein Meister sein. 41 Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht? 42 Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Bruder, lass mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen!, während du selbst den Balken in deinem Auge nicht siehst? Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; dann kannst du zusehen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen. 43 Es gibt keinen guten Baum, der schlechte Früchte bringt, noch einen schlechten Baum, der gute Früchte bringt. 44 Denn jeden Baum erkennt man an seinen Früchten: Von den Disteln pflückt man keine Feigen und vom Dornstrauch erntet man keine Trauben. 45 Der gute Mensch bringt aus dem guten Schatz seines Herzens das Gute hervor und der böse Mensch bringt aus dem bösen das Böse hervor. Denn wovon das Herz überfließt, davon spricht sein Mund.
Vor vielen Jahren lernte ich den Begriff des „Testimonials“ kennen. Das sind meist Prominente, die für ein Produkt Werbung machen. Als hätten sie es stellvertretend für ihre Fans getestet und für gut befunden. Und nun tauchen sie in allen möglichen Werbeclips auf und erzählen davon, wie gut eine Bratpfanne sei, dass man am besten eine bestimmte App brauche, um Rezepte einzulösen und wohin man unbedingt in den Urlaub fahren müsse, welche Creme der Mensch ab 40 brauche und dass es nur ein einziges Auto gäbe, in dem Autofahren halbwegs erträglich sein könne. Heute nennt man Testimonials vermutlich „Influencer“. Doch hier müsste man wahrscheinlich sagen: Die kommen zwar unentwegt und allenthalben vor und sie erzählen auch viel und stets dasselbe. Doch möglicherweise quillt nicht deren Herz über, sondern das Konto.
Diejenigen meint Jesus also nicht. Aber wen dann? Diejenigen, die ihr Lebensthema gefunden haben und es jedem erzählen – vielleicht. Als allererstes fallen mir da Politikerinnen und Politiker ein. Überzeugend erklären sie ihre Positionen und negieren im Gegenzug alle Positionen der politischen Gegenseite. Als betrachtender Mensch merkt man dann sehr schnell: Ja, da quillt jemandes Herz über und darum werden auch reichlich Worte verpackt, aber die geäußerten Gedanken müssen deswegen noch lange nicht herzensgut sein. Im Gegenteil.
Jesus ruft zur selbstreflektierten Vorgehensweise auf. Das Evangelium ist eine Einladung, die eigenen Argumente immer wieder neu zu hinterfragen, damit man nicht in der eigenen Gedankenwelt betriebsblind wird. Das führt dann nicht zu dauernd wechselnden persönlichen Ansichten, sondern zu einer abgesicherten Argumentation. Im Austausch führt das nicht mehr zum Wettstreit der lautesten Stimme oder des begeisterten Publikums, sondern zur klareren Haltung aus gutem Grund.
Es wäre doch ziemlich reizvoll, sich selbst zu hinterfragen. Denn das könnte zwei Folgen nach sich ziehen. Entweder man merkt, dass die eine oder andere eigene Position hakt. Dann kann man sie absichern oder neu ausrichten. Oder man gelangt zu dem Schluss, dass es nach wie vor gute Gründe für die eigene Haltung gibt, was ebenfalls beruhigend ist. Und vor allem könnte es sein, dass es dann immer weniger Haltungen gibt, die allein aufgrund ihrer aggressiv vorgetragenen Form präsent sind.
Jesus hält uns den Spiegel vor und verrät uns, wie wir ein offenes Lächeln darin erblicken können.
Tim Wollenhaupt