Zum Evangelium Mt 23, 1-12 am 31. Sonntag des Jahreskreises – 5.11.2023
1 Darauf sprach Jesus zum Volk und zu seinen Jüngern 2 und sagte: Auf dem Stuhl des Mose sitzen die Schriftgelehrten und die Pharisäer. 3 Tut und befolgt also alles, was sie euch sagen, aber richtet euch nicht nach ihren Taten; denn sie reden nur, tun es aber nicht. 4 Sie schnüren schwere und unerträgliche Lasten zusammen und legen sie den Menschen auf die Schultern, selber aber wollen sie keinen Finger rühren, um die Lasten zu bewegen. 5 Alles, was sie tun, tun sie, um von den Menschen gesehen zu werden: Sie machen ihre Gebetsriemen breit und die Quasten an ihren Gewändern lang, 6 sie lieben den Ehrenplatz bei den Gastmählern und die Ehrensitze in den Synagogen 7 und wenn man sie auf den Marktplätzen grüßt und die Leute sie Rabbi nennen. 8 Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder. 9 Auch sollt ihr niemanden auf Erden euren Vater nennen; denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel. 10 Auch sollt ihr euch nicht Lehrer nennen lassen; denn nur einer ist euer Lehrer, Christus. 11 Der Größte von euch soll euer Diener sein. 12 Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.
Wenn das mal keine Abrechnung ist! Die nächsten Verse des Evangelientextes setzen noch einen obendrauf:
13-14 Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr verschließt den Menschen das Himmelreich. Denn ihr selbst geht nicht hinein und lasst die nicht hinein, die hineingehen wollen.[1] 15 Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr zieht über Land und Meer, um einen einzigen Menschen für euren Glauben zu gewinnen; und wenn er gewonnen ist, dann macht ihr ihn zu einem Sohn der Hölle, doppelt so schlimm wie ihr selbst. 16 Weh euch, ihr seid blinde Führer!
In heutiger Zeit würde man wohl sagen: Jesus startet einen Shitstorm auf die Schriftgelehrten und Pharisäer und lässt kein gutes Haar an ihnen. Automatisch ziehe ich die Verbindung zu der öffentlichen Reaktion auf die Aufdeckung sexuellen Missbrauchs im Rahmen der katholischen Kirche.
Es war wohl schon immer systemimmanent, dass eine Anzahl (geistlicher) Würdenträger die ihnen mit dem Amt verliehene Autorität korrumpiert hat.
Was damals wie heute dabei an den Tag gekommen ist, ist erschütternd! Dass heute endlich das Augenmerk gelegt wird auf Aufklärung und Transparenz zugunsten der Opfer ist mehr als überfällig. Ebenso wichtig ist die Strafverfolgung der Täter. Zugleich finde ich es aber auch hochgradig unfähr, wie in der medialen Öffentlichkeit pauschalisiert wird und haupt- und ehrenamtlich im kirchlichen Bereich Beschäftigte unter Generalverdacht gestellt werden. Denn die große Mehrheit engagiert sich leidenschaftlich und gewissenhaft für das Leben der Gemeinden und deren Umfeld.
12 Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden:
Ich verstehe die in diesem Satz kumulierende Anklage Jesu dementsprechend als eine klare Absage an sich immer mehr verfestigende Machtstrukturen, die zum Selbstzweck degenerieren. Diese Strukturen werden dann zur Gefahr, denn Macht verführt so manchen Menschen bzw. Menschengruppen zum Missbrauch eben dieser.
Wer seine Macht missbraucht, offenbart damit letztlich eine große menschliche Schwäche und erniedrigt damit – neben seinen Opfern – auch sich selbst. Umgekehrt ermöglicht der „geschwisterliche“ Blick auf die Dinge Handlungsspielraum für ein gestalterisch in die Weite und nach oben offenes Miteinander. Wer in solcher Atmosphäre miteinander umgeht und arbeitet, kann über sich hinauswachsen.
Auch den vielen „weltlichen“ und (pseudo-!) religiösen Konflikten, die in unserer Welt toben, liegt Missbrauch von Macht zugrunde. Da sind die an das heutige Evangelium anschließenden Verse Mt 23, 13-16 auch heute noch sehr aktuell: Ein Land unter Führung eines Neo-Imperialisten greift mit fadenscheiniger Begründung sein Nachbarland an, um es seinem Machtbereich unterzuordnen. Selbsternannte „Gotteskrieger“ deklarieren es als Freiheitskampf, massakrierend über Menschen in ihrem friedliche Alltag herzufallen, damit einen Krieg auszulösen und dann ihre eigenen Leute als Schutzschilde zu missbrauchen. Verblendete auf zwei Seiten erziehen ihre Kinder zu Hass auf die jeweils anderen und übertragen damit ihre Unfähigkeit zu einer friedlichen Einigung auf die nächsten Generationen. Opportunistische Staatslenker gießen Öl ins schon brennende Feuer und sähen zusätzlich Zwietracht, nur um ihre eigene wackelig gewordene Position wieder zu stärken … all das Leid, für was letztendlich? Wem nützt es? Letztendlich immer nur den Machtinteressen Einzelner!
Beten wir um etwas, das uns in der heutigen Situation fast unmöglich erscheint: ein neues, friedvolles Miteinander! Denn „alles ist möglich, für den, der glaubt“ (Mk 9,23).
Maria Schmale