Ostermorgen, 17.04.2022
Zum Evangelium nach Johannes 20, 1 – 9
1 Am ersten Tag der Woche kam Maria von Magdala frühmorgens, als es noch dunkel war, zum Grab und sah, dass der Stein vom Grab weggenommen war. 2 Da lief sie schnell zu Simon Petrus und dem anderen Jünger, den Jesus liebte, und sagte zu ihnen: Sie haben den Herrn aus dem Grab weggenommen und wir wissen nicht, wohin sie ihn gelegt haben. 3 Da gingen Petrus und der andere Jünger hinaus und kamen zum Grab; 4 sie liefen beide zusammen, aber weil der andere Jünger schneller war als Petrus, kam er als Erster ans Grab. 5 Er beugte sich vor und sah die Leinenbinden liegen, ging jedoch nicht hinein. 6 Da kam auch Simon Petrus, der ihm gefolgt war, und ging in das Grab hinein. Er sah die Leinenbinden liegen 7 und das Schweißtuch, das auf dem Haupt Jesu gelegen hatte; es lag aber nicht bei den Leinenbinden, sondern zusammengebunden daneben an einer besonderen Stelle. 8 Da ging auch der andere Jünger, der als Erster an das Grab gekommen war, hinein; er sah und glaubte. 9 Denn sie hatten noch nicht die Schrift verstanden, dass er von den Toten auferstehen müsse. 10 Dann kehrten die Jünger wieder nach Hause zurück.
Schon einige Male in meinem Leben habe ich an Begräbnissen teilgenommen. Sie sicherlich auch. Und manchmal, je nach der Tiefe der Verbindung zu dem beigesetzten Menschen, geht man nach dem Beerdigungskaffee erstmals wieder zum Grab zurück. Dann vielleicht einige Tage später, dann immer wieder. Wenn ich heute über manche Friedhöfe gehe, dann sehe ich in vielen Fällen Grabstätten, an denen ich bei der Beisetzung und danach gestanden habe und sogar Grabstätten, in denen längst wieder neue Beisetzungen stattgefunden haben.
Ein offenes und leeres Grab, in dem zuvor ein Mensch beigesetzt worden ist, dem ich nahestand – es wäre ein unglaublicher Schock. Mit diesem Gedanken bin ich nicht allein. Im Strafgesetzbuch finden wir den § 168 (Störung der Totenruhe) und in Ermittlungsverfahren sind zu Recht hohe Hürden aufgebaut worden, bevor eine Exhumierung genehmigt werden darf. Es ist zu vermuten, dass dieses Empfinden auch zu Jesu Zeit vorherrschte. Der Schock der Augenzeugen beim Anblick des leeren Grabes dürfte demnach immens gewesen sein und neben die Trauer tritt Ratlosigkeit.
Nicht nur aus dem Leben gerissen, sondern auch noch aus dem Grab. Sollte ein Dritter den Leichnam Jesu genommen haben, wäre das wie eine Verhöhnung nach dem gewaltsamen Tod, der selbst eine Demütigung sein sollte, nicht nur für Jesus, sondern auch für die Jüngerinnen und Jünger. Ein tiefer Schlag in die Magengrube, ein Nachtreten übelster Sorte.
Die beiden Jünger begegnen der leeren Grabstätte mit Vorsicht, Respekt und Ratlosigkeit. Dass das Grab leer ist, können sie sehen. Doch die Auferstehung begreifen können sie – noch – nicht. Einer der Jünger, so sagt es der Evangeliumstext, „sah und glaubte“. Ein merkwürdiger Satz. Ein Satz, der so gar nicht schockierend ausfällt. Der zwar keine Gewissheit enthält, aber auch keinen Schock mehr.
Vielleicht ist das die schönste Nachricht an Ostern: Wer stirbt, ist nicht mehr da. Wir sehen ihn nicht mehr. Das Fehlen eines Leichnams kann in diesem Fall an Jesu Grab aber auch bedeuten, dass die Geschichte noch lange nicht zu Ende ist.
Sondern dass das Leben weitergeht. Unsichtbar, unfassbar, unbegreifbar vielleicht – aber Gott sei Dank auch ohne Schock. Denn Gott stört nicht die Totenruhe, sondern ruft in Sein Leben.
Ihnen wünsche ich frohe und gesegnete Ostern.
Tim Wollenhaupt