Zum Evangelium Mk 7,31-37 vom 23. Sonntag im Jahreskreis, 5. September 2021
Um das heutige Evangelium zu verstehen, lese ich es nicht als Wundererzählung, sondern als Beispielgeschichte und Gleichnisrede. Und frage: Für wen steht die Person, von der das Evangelium erzählt?
„Da brachten sie zu Jesus einen, der taub war und stammelte, und baten ihn, er möge ihm die Hand auflegen.“ (Mk 7,32)
Wen möchte ich heute zu Jesus bringen, damit er sie / ihn berühre?
– Die Politikerinnen und Politiker, die taub sind für die Anliegen unserer Zeit und unserer Gesellschaft – die Klimakrise, die sozialen Ungerechtigkeiten … – und nur ein Ohr für Lobbyisten haben?
– Bekannte, Freundinnen und Freunde, die kein Ohr haben für die Nöte ihrer Mitmenschen?
– Partnerinnen und Partner, die die Signale des/der anderen nicht mehr wahrnehmen und deshalb nicht mehr miteinander reden können?
– Mitchristen in der Gemeinde, die allen Neuerungen gegenüber taub sind?
Der Taubstumme im Evangelium lässt sich von Jesus beiseite nehmen und berühren. „… danach blickte Jesus zum Himmel auf, seufzte und sagte zu ihm: Effata!, das heißt: Öffne dich! Sogleich öffneten sich seine Ohren, seine Zunge wurde von ihrer Fessel befreit und er konnte richtig reden.“ (Mk 7,34f)
Am ehesten erschließt sich mir dieses Evangelium, wenn ich mich selbst in dem Taubstummen entdecke und mich ehrlich der Frage stelle, für wen oder was ich taub geworden bin: Nehme ich die Signale meiner Nächsten wirklich wahr oder höre ich nur auf die eigenen Bedürfnisse und Wünsche? Höre ich nur die Stimmen in meiner „Blase“ und bin quasi taub für alles andere? Wie nehme ich wahr, wenn andere mehr und mehr verstummen? Für wen habe ich ein offenes Ohr? Bin ich offen für Neues, für die Anliegen und Nöte unserer Zeit? Nehme ich Stellung zu den Themen unserer Zeit, zu Ungerechtigkeit und Konflikten? Oder ist mir das alles gleichgültig?
Effata! – Öffne dich!
Das heutige Evangelium lädt mich ein, mich neu von Jesu Wort berühren zu lassen. Mich neu zu öffnen für sein Wort, es an mich heran zu lassen, es neu zu hören und zu verstehen. Und davon zu sprechen, wozu es mich bewegt:
– Anderen zuzuhören. Ihre Signale und Anliegen wahrzunehmen, auch wenn sie meinen Wünschen und Ansichten nicht entsprechen…
– Eine Heilung meiner Taubheit anzunehmen und als Befreiung und Freiwerden von Gleichgültigkeit, von erstarrten Gewohnheiten oder Vorurteilen …
– Ein Sich-Öffnen für ein neues, anderes Leben.
Burkhard Schönwälder