11. Sonntag im Jahreskreis, 13.06.2021
Zum Evangelium nach Markus 3, 26 – 34
26 Er sagte: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mann Samen auf seinen Acker sät; 27 dann schläft er und steht wieder auf, es wird Nacht und wird Tag, der Samen keimt und wächst und der Mann weiß nicht, wie. 28 Die Erde bringt von selbst ihre Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann das volle Korn in der Ähre. 29 Sobald aber die Frucht reif ist, legt er die Sichel an; denn die Zeit der Ernte ist da.
30 Er sagte: Womit sollen wir das Reich Gottes vergleichen, mit welchem Gleichnis sollen wir es beschreiben? 31 Es gleicht einem Senfkorn. Dieses ist das kleinste von allen Samenkörnern, die man in die Erde sät. 32 Ist es aber gesät, dann geht es auf und wird größer als alle anderen Gewächse und treibt große Zweige, sodass in seinem Schatten die Vögel des Himmels nisten können.
33 Durch viele solche Gleichnisse verkündete er ihnen das Wort, so wie sie es aufnehmen konnten. 34 Er redete nur in Gleichnissen zu ihnen; seinen Jüngern aber erklärte er alles, wenn er mit ihnen allein war.
Haben Sie schon mal das Gras wachsen gehört? Normalerweise braucht man diese Frage in einem ganz bestimmten Zusammenhang. Da ist jemand besonders empfänglich für die kleinsten Signale. Aber nehmen wir es ausnahmsweise einmal wörtlich: Dann müssen Sie vermutlich verneinen. Oder nehmen wir ein eingesätes Korn. Natürlich sehen wir die Veränderung vom anfänglichen kleinen Halm bis zur vollen Blüte der Pflanze – aber wir sehen sie nur mit zeitlichem Abstand. Wer besonders technisch ausgestattet ist, benutzt vielleicht eine Kamera und lässt die Bilder im Zeitraffer laufen – wenn wir der Pflanze aber beim tatsächlichen Wachsen in Echtzeit zusehen, werden wir eher einschlafen als von den Veränderungen überrascht. Und mit so etwas vergleicht Jesus das Reich Gottes. Klingt nach einem Schlafmittelrezept und nicht nach der Darstellung einer vollendet liebevollen Ewigkeit im Glanze des Schöpfers.
Aber vielleicht ist es ja ganz anders. Was uns im Gleichnis begegnet, ist ja keine Erklärung der menschlichen Beobachtungsgabe. Sie ist die Darstellung dessen, von dem selbst Jesus annehmen muss, dass wir Menschen Bilder zum Begreifen brauchen. So einfach zu verstehen ist es also nicht. Und wenn wir uns das Verhalten der Jüngerinnen und Jünger nach dem Tode Jesu ansehen, dann waren die Gleichnisse zwar zahlreich, aber nicht sonderlich erfolgreich, denn statt jetzt nach dem Verkünden der im Bild erklärten Herrlichkeit zu trachten, verkrümeln sich die Auserwählten zunächst im stillen Kämmerlein. Ja, so eine richtig große Pflanze braucht Zeit, um zu reifen.
Und wenn das Reich Gottes nicht in himmlischer Ferne gemeint ist, sondern dasjenige auf Erden, dann dauert das Wachsen und Reifen offenkundig noch immer an. Was ist das dann, was die katholische Kirche in Deutschland soeben erlebt? Die Phase des Wachsens, die Zeit der Blüte? Die Zeit vielleicht der Vermehrung? Oder liegt die Sichel an und von der ehemaligen Blütenpracht bleiben nur noch ein paar in der Sonne vor sich hin dorrende Strünke?
In der Tat wirkt die Kirche, ganz gleich, welcher Konfession, nicht sonderlich blühend. Sie wirkt auch nicht wie komplett abgeerntet. Aber so ein Spritzer Dünger wäre nicht schlecht. Der Boden sollte mal aufgelockert werden, die Wurzeln belüftet. Ein erfrischender Regen wäre ein Segen. Ach ja, und die eine oder andere erhellende Erleuchtung wäre wirklich hilfreich.
Vielleicht ist es das, was der eine oder andere Bischof in dieser Welt sich dabei gedacht hat, als er dem Papst seinen Rücktritt angeboten hat. Das tun derzeit viele und manche davon aus ernsthaften Motiven heraus, scheint mir. Sie wissen, dass mit ihrem Rücktritt, so er denn angenommen wird, nicht das Christentum endet, sondern – wenn es gut läuft – lediglich die landwirtschaftliche Methode verändert wird. Nun, Wattenscheid kennt viele Häuser, aber auch die eine oder andere Feldfläche. Und die Landwirte auf diesen Flächen sind längst nicht mehr einfache Bauern, sondern ausgewiesene Fachleute. Sie setzen moderne Methoden in ihrer Landwirtschaft ein, sie gehen achtsam mit ihrer Scholle um. Sie denken langfristig und handeln mit Bedacht klug. So gar nicht wie der säende Mann im Gleichnis, der zwischen Saat und Ernte offenkundig nicht viel macht, sondern dem Phänomen eher staunend gegenüber steht.
Vielleicht ist so ein gezielter Rücktritt, der nicht im Stillen vollzogen, sondern öffentlich erklärt wird, ein Tropfen Wasser und Dünger zugleich. Es hilft dabei, über die zukünftige Bestellung des Feldes neu nachzudenken. Im Kern aber bleibt es im Christentum wie auf dem Feld: Wachsen und gedeihen muss es von innen heraus und von allein. Und ebenso, wie sich die Lämmer einer Herde kaum ein vorsitzendes Schaf erwählen oder die Pflanzen auf dem Acker eine Chefähre bestimmen, kommt es auf die Kraft in jedem einzelnen kleinen Hälmchen an. Also auf uns selbst. Ob aus dem kleinen Saatkorn der Liebe, die Gott in unser Leben gepflanzt hat, ein großes Gewächs wird, in dem die bildlichen Vögel ein Heim finden, liegt nicht an Bischöfen, sondern an unserer Bereitschaft dazu, das Wachsen in uns selbst zu gestatten und zu befördern.
Und darum wünsche ich Ihnen und mir heute einen guten Schluck Wasser und einen erwärmenden Sonnenstrahl. Blühen Sie auf und genießen Sie es, wenn sich Ihnen eine andere Blüte freundlich zuneigt.
Angenehmes Wachstum in Seinem Licht.
Tim Wollenhaupt