Weihnachten 2019
Welche SMS verschicken Sie in diesem Jahr zu Weihnachten? – Mir gefallen die von Andreas Knapp, einem Priester und Dichter aus Leipzig, den wir im November im maGma zu Gast hatten:
SMS zu Weihnachten
ein gutes Erwachen
Josef heiratet seine Traumfrau
die besondere Schwangerschaft
das Kind wählt sich seine Mutter
nach unmenschlicher Zurückweisung
eine tierisch gute Unterkunft
Ochs und Esel
stieren ungläubig in eine Kinderkrippe
auf dem Stroh ungesponnen
liegt ein Goldstück
Hirten lassen das ewige Gemeckere hinter sich
und finden eine kindliche Freude
himmlische Überflieger
singen ein Friedenslied
sterntrunkene Magier
bezaubert von einem Kind
und in diesem Schnee von gestern
finden wir die Spur ins Morgen
Andreas Knapp1
Bei jedem neuen Lesen mache ich weihnachtliche Entdeckungen und kann mich über ungewohnte Sichtweisen freuen. So lese ich die wenigen Zeilen immer wieder … und sie lassen mich fragen:
Wie viele Menschen „stieren“ in diesen Tagen wie „Ochs und Esel / ungläubig in eine Kinderkrippe“?
Mit welchen Augen kann ich erkennen: „auf dem Stroh ungesponnen / liegt ein Goldstück“?
Kann ich mit den Hirten noch „kindliche Freude finden“?
Wo sind heute „himmlische Überflieger“, die „ein Friedenslied singen“?
Gibt es bei den Sternsingern heute noch „sterntrunkene Magier / bezaubert von einem Kind“?
Und wie finden wir „in diesem Schnee von gestern / die Spur ins Morgen“?
Das ist wohl die Herausforderung dieses Festes. In einer Kinderkrippe – ein Goldstück – bezaubert von einem Kind und kindlicher Freude – ist das (für mich / für Sie) nur Schnee von gestern? Oder spüre ich darin (noch / wieder) etwas vom – unglaublichen – Geheimnis dieses Festes?
Dass Gott tatsächlich in diesem Kind von Betlehem das Antlitz eines Menschen angenommen hat! Seitdem schaut er uns mit menschlichen Augen an, hat er für unsere Nöte ein offenes Ohr, lächelt er uns mit menschlichen Gesichtszügen entgegen und ermutigt uns, seinen Blick zu erwidern …
Und mir geht auf: In diesem Kind – wie in jedem Kind, auf meinem und deinem Angesicht sowie auf dem Angesicht unserer Brüder und Schwestern spiegelt sich Gottes Angesicht wider – ganz besonders auf dem Gesicht der Armen, Geschundenen und Schwachen …
Da zeigt sich für mich „die Spur ins Morgen“ – in eine menschlichere Welt. Denn in diesem Kind von Betlehem ist Gottes Wunsch lebendig geworden:
„der aber / hegt nur / einen Wunsch: / den menschlichen Menschen /
einmal hat er sich selbst / diesen Wunsch erfüllt / und wartet seitdem / auf Nachahmung“,
wie es Andreas Knapp an anderer Stelle2 formuliert hat. Die Spur ins Morgen – für Dich und mich.
Burkhard Schönwälder
1 in: Andreas Knapp: Mit Engeln und Eseln. Weise Weihnachtsgeschichten, echter Verlag Würzburg 42017, S.113
2 a.a.O. S.119