33. Sonntag im Jahreskreis, 17.11.2019
Zum Evangelium nach Lukas 21, 5 – 19
Da ist dieses Evangelium vor so vielen Jahrhunderten geschrieben worden und ist doch so aktuell. Umweltkatastrophen werden genannt, Kriege, endende Reiche und Regime, die Verfolgung wegen des eigenen Glaubens. Und selbst das Ende eines Tempels wird beschrieben. Für die Juden ist der zerstörte Tempel das Ende der Welt. Das ist keine Erzählung aus alten Zeiten: Wenn heute eine Kirche geschlossen wird, empfinden viele Menschen das als einen herben Einschnitt. Nicht wenigen blutet dann das Herz besonders, wenn ihre Kirche nicht lediglich einer neuen Nutzung zugeführt, sondern gänzlich abgerissen wird. Hier in St. Maria Magdalena kennt man quer durch eine Zeit von 600 Jahren die Geschichte von Bestehen, dem Ausbau und dem Abriss von Kirchen. Als kleine Leprosenkapelle stand das erste Kirchlein 462 Jahre am Hellweg, von 1864 bis 1915 stand dann die zweite Kirche St. Maria Magdalena an dieser Stelle, keine kleine Kapelle mehr, aber doch schon bald zu klein für die stark wachsende Gemeinde, seit 1915 nutzt die Gemeinde das gegenwärtige Haus und auch dieses wird keine Ewigkeiten mehr bestehen. Im Inneren hat diese Kirche schon gewaltige Veränderungen überlebt, von der vorgezogenen Altarinsel nach dem zweiten Vatikanum bis zur Installation der begehbaren Taufstelle vor fast zwanzig Jahren, mehrere Umgestaltungen im Innenbereich bei Ausmalung und Kirchenschmuck eingenommen. Und doch sagt Jesus: Das alles ist nicht entscheidend und kein Grund dafür, das nahe Ende der Welt zu vermuten.
Das klingt fast so, als interessiere es Gott kein Stück, welche persönlichen und überregionalen Katastrophen über seine Leute hereinbrechen. Was für ein Begleiter! Ich leide, meine Mitmenschen leiden, Menschen werden verfolgt, vertrieben und vernichtet und Gott zuckt noch nicht einmal mit den Schultern. Und diesem Gott und seinem Gebot der Liebe soll man trauen? Ihn anbeten? Für ihn sein Leben riskieren?
Ein wenig ist dieses Evangelium für mich so etwas wie ein tatsächliches Schulterzucken. „Was kann dir denn passieren?“ So würde ich es übersetzen. „Was trägst du denn für ein Risiko? Du klammerst dich an dein Leben, an das, was dir gefällt. Aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was dich erwartet.“ Die Verheißung des Lebens jedoch setzt etwas voraus, was im Evangelium als Standhaftigkeit bezeichnet wird. Gott beschenkt aus Gnade mit dem Leben. Wenigstens dafür könnten wir dankbar sein und mindestens daran arbeiten, dass das hiesige Leben lebenswert bleibt. Und da spielt es kaum eine Rolle, dass an einem Ort auf der Welt Krieg herrscht. Der Friede, den ich stifte, entscheidet. Da ist es egal, in welchem Gebäude eine Messe gelesen wird. Da ist es ohne jeden Belang, ob Kirchenschmuck überbordend oder ein Raum gänzlich kahl ist. Ja, es ist überhaupt kein Raum nötig. Gott begegnet mir nicht auf Marmor und unter üppigem Stuck, nicht in Edelsteinauflage und golddurchwirktem Gewand. Er begegnet mir im Lächeln meines Gegenübers. Er begegnet mir in einer Umarmung. In der Hand, die meine festhält, wenn ich am Ende meiner Kräfte bin. Dann erlebe ich, was „Ich bin da“ wirklich ist. Mir nah, dir nah, immer, überall, über den Tod hinaus.
Erwarten wir also nicht das Ende der Welt und reden wir es auch nicht herbei. Hängen wir unser Herz nicht an das, was wir nicht festhalten können. Festhalten kann man eine Hand, keinen Tempel. Gott liegt in unserer Hand. In der Eucharistie und in den Augen unseres Nächsten.
Greifen Sie zu. Dann begreifen Sie das Leben.
Tim Wollenhaupt