12. Sonntag im Jahreskreis, 23.06.2019
Zum Evangelium nach Lukas 9, 18 – 24
Ganz gewiss haben Sie heute schon einmal in Ihren Badezimmerspiegel geblickt. Der Anblick ist Ihnen vertraut und als einziger Mensch sehen Sie nicht nur Ihr Äußeres, sondern wissen auch, wie es darin aussieht. Ein unschätzbarer Vorteil, wenigstens manchmal. Denn alle anderen sehen Sie nur von außen. Aber sie sehen Sie nicht mit Ihren Augen und aus Ihrem Blickwinkel.
Was Jesus am Beginn des heutigen Evangeliums anspricht, ist genau diese Außenansicht: „Für wen halten mich die Leute?“ Die Frage geht über das hinaus, was jeder Ausweis über einen Menschen sagt. Dort stehen der Name, der Wohnort, der Geburtsort und das Geburtsdatum. Doch das allein sagt gar nichts darüber aus, was dieser Mensch für einen Charakter hat. Und unabhängig von dem, was Jesus aus seiner Innensicht über sich weiß, erkundigt er sich nach der landläufigen Meinung darüber, wie er von den Menschen gesehen und eingeschätzt wird. Mancher oberflächlicher Betrachter merkt dem Text zufolge zwar, dass Jesus anders ist und dieses Andere höheren Ursprungs ist. Aber seine Jünger gehen weiter. Vielleicht, weil sie durch die große Nähe zu Jesus eine etwas differenziertere Sichtweise haben entwickeln können. Die Jünger bezeichnen Jesus als den „Gesalbten Gottes“.
Wie ist diese Überzeugung entstanden? Und wie tragfähig ist sie? Die Jünger erleben hautnah mit, wie Jesus mit Menschen umgeht. Sie beobachten, wie er die Verachteten und Ausgestoßenen Wert schätzt, die Kranken heilt, selbst einen Verstorbenen zum Leben erweckt. Sie haben eine Ahnung von dem, was Gott den Menschen verheißt und zu schenken vermag. Die Jünger – und wir – finden keine logische Erklärung für das Erlebte und Erzählte und nennen es Wunder. Und doch ist dieses Wunderbare offenbar nicht allzu tragfähig: Schon die Jünger auf dem Weg vom Kreuz nach Emmaus zweifeln an dem, was ihnen Jesus zugesagt hat.
Der Weg jedes einzelnen Jüngers besteht aus dem Erkennen, dem Weitersagen und dem vertrauensvollen Erleiden. Dem Weitersagen? Verbietet Jesus das nicht sogar? Schon, aber nur vorübergehend. Die Ankündigung seiner Auferstehung soll noch im Kreis der Jünger bleiben, erst nach Pfingsten greift der Verkündigungsauftrag.
Nehmen wir an, wir hätten erkannt. Und nehmen wir an, dass wir auch zum Weitersagen befähigt sind. Ganz unabhängig davon, wie es in uns gerade aussieht. Denn dann, wenn wir leiden, wenn alles zuwider ist, wenn wir ohnmächtig sind, kommt es ganz entscheidend auf das Vertrauen an. Die Jüngerinnen und Jünger Jesu machen klar, dass das Vertrauen im Leid eine machtvolle Hürde ist. Und doch feiern gerade die evangelischen Christen in Deutschland an diesem Sonntag ihren Abschlussgottesdienst des Evangelischen Kirchentages in Dortmund, der unter dem Motto steht „Was für ein Vertrauen“. Die ganz entscheidende Botschaft für mich ist dabei, dass nicht das Vertrauen in die Institution Kirche oder eine Unterabteilung davon gemeint ist, sondern das Vertrauen in Gott. Das Vertrauen in denjenigen, der unabhängig vom Irdischen ist und der mir gerade in mein Leid hinein zusagt: Ich bin mindestens durch dasselbe Leid gegangen. Für Dich. Ich bleibe an Deiner Seite. Über alles Leid hinaus.
Ihnen und mir wünsche ich, dass wir in jeder Situation unseres Lebens dieser Zusage Vertrauen schenken. Mit dem Angebot der Liebe sind wir bereits beschenkt und ein großer Teil der hiesigen Christen feiert das. Was für ein Vertrauen.
Tim Wollenhaupt