2. Sonntag im Jahreskreis, 27.01.2019
Zum Evangelium nach Lukas 1, 1 – 4; 4, 14 – 21
Weißt Du noch?
So fangen manche Erzählungen an. Alle, die eine solche Erinnerung teilen, stellen fest, dass sich im Laufe der Zeit immer wieder andere Details in die Erzählung mischen, andere Schwerpunkte gesetzt werden, vormals nebensächliche Teilbereiche plötzlich an Bedeutung gewinnen und mitunter die Geschichten auch so ausgeschmückt werden, dass sie zur Erzählsituation passen, aber nicht mehr zur Wahrheit.
Mit den Erzählungen in der Bibel scheint es früheren Menschen ganz genau so gegangen zu sein. Es wurde eine Menge berichtet, manches davon war schier unglaublich und wunderbar. Vielleicht ein wenig zu wunderbar, um wahr zu sein. Der ganze Zauber um diesen Jesus von Nazareth – das Ergebnis immer weiter ausgeschmückter Erzählungen?
Der berichtende Evangelist Lukas leitet seine eigene Darstellung bewusst anders ein. Er schreibt dem Wortsinn gemäß nicht an eine Vielzahl von Lesern, sondern an einen ganz bestimmten Empfänger, Theophilus. Nun, wenn mich meine Sprachkenntnisse nicht täuschen, dann übersetzt man den Namen wohl mit „Der, der Gott liebt“. Und plötzlich können wir uns selbst mit diesem fremden Empfänger identifizieren. Möglicherweise schreibt Lukas tatsächlich nicht für jeden, sondern für gerade die, die sich für diesen Jesus tatsächlich interessieren. Diesem Leser sichert Lukas zu, dass er sorgfältig recherchiert hat, sowohl Zeuge als auch Bote ist.
„Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt…“ Jesus findet diese Stelle im Buch des Propheten Jesaja. Zufällig? Hat er danach lange durch umständliches Blättern gesucht? Oder zeigt sich hier schon ein besonderer Griff zum Buch, so wie wir nach einiger Übung ein Gesangbuch vielfach an der fast richtigen Stelle aufschlagen, sobald ein Lied angezeigt wird? Es spielt im Grunde keine Rolle, ob Jesus nach der Stelle suchen musste oder nicht. Es ist und bleibt eine überraschende, beruhigende Feststellung, die Jesus darauf folgen lässt: „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.“
Wir, die wir nach der Richtung für unser Leben im Evangelium suchen, bekommen eine umfassende Zusammenfassung präsentiert: Egal, wie schlecht es gerade aussieht, ob man sich gefangen, mittellos oder zerschlagen fühlt: Die Gnade Gottes ist uns zugesagt. Nicht irgendwann, nicht irgendwem: Uns. Jetzt. Und für immer.
Von dieser Lehre kann man sich immer wieder überzeugen lassen und muss es wohl auch, weil es so unglaublich ist. Weil wir uns häufig so fühlen, als wäre dieser Text nicht für uns geschrieben. Als wären wir noch Suchende und nicht schon die, die Gott lieben.
Macht nichts. Gott liebt dafür uns. Braucht es mehr Zutaten für einen gesegneten Sonntag?
Tim Wollenhaupt