- Sonntag im Jahreskreis, 04.11.2018
Zum Evangelium nach Markus 12, 28b – 34
Wie oft schon haben wir das gehört, diese Erzählung mit der Frage, was denn am wichtigsten sei und der doppelten Antwort, die überrascht.
An erster Stelle steht Gott. Das ist erwartbar. Und doch so unbewusst. Wenn ich in einem Geschäft vor der großen Auswahl stehe, noch dazu vor einer Auswahl, die ich gar nicht zum Leben brauche, dann denke ich an viel. Aber nicht an Gott.
Welche Schokolade soll es nur sein? Die mit ganzen Nüssen? Die mit Nusssplittern? Noisette gar? Oder doch die mit Trauben? Zartbitter? Vollmilch?
Dabei brauche ich gar keine Schokolade. Das sagt mir zumindest mein Spiegelbild. Aber das ist zuhause, nicht hier vor dem Regal. Hier vor dem Regal sehe ich nur diese immense Auswahl. Und ich liebe Schokolade.
Moment. Gott soll ich lieben. Ist Gott in Schokolade? Nenne ich beides „Liebe“? Und wenn ja – ist das dann dieselbe Intensität von Liebe? Was ist mit meiner Frau, die liebe ich auch. Kann ich mir eine dreistufige Liebe vorstellen? Ganz unten Schokolade, dann, viel höher, meine Frau und über allem Gott? Ich könnte ja clever sein. Das zweite Jesuswort dazu nehmen. „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Tja, das setzt zunächst einmal voraus, dass ich mich selbst liebe. Damit wäre die Schokolade nicht erlaubt, sondern geboten. Und ein paar Stücke später könnte man ja dann mal über den Nächsten nachdenken.
Vielleicht ist das aber auch ganz anders gemeint. Dass über allem Gott steht, ist nur gerecht. Wer mich bedingungslos liebt und mir das Leben schenkt – kann ich ihm anders begegnen als in Liebe? Und wenn mein Nächster durch Jesus auf dieselbe Stufe wie Gott gestellt wird, wenn ich ihn ebenso lieben soll wie mich, dann sind wir alle geliebte Schöpfung Gottes. Unendlich wertvoll. Einem Menschen darf ich in größter Liebe begegnen, ohne gegen die Gottesliebe verstoßen zu können. Und ich soll jedem Menschen in dieser Liebe begegnen, auch, wenn ich ihn gar nicht sympathisch finde. Sogar dann, wenn dieser Mensch mein Feind ist. Der Gedanke an das Schokoladenregal wirkt gar nicht mehr so bestimmend.
Wobei – meine Frau mag Schokolade auch. Und irgendwie wird Schokolade doch aus dem hergestellt, was Gottes Schöpfung ist. Wenn ich mit ihr ein Stück Schokolade teile, lächeln wir einander an. Stellen wir uns vor, dass uns im Lächeln das Antlitz Gottes begegnet, wenn dieses Lächeln auf dem Teilen beruht und wenn ich vielleicht als Antwort auf Feindschaft ein Stück Schokolade auf jeden Tisch legen könnte…
Was ist eigentlich, wenn die Vielfalt im Regal nur die Wege darstellt, auf denen ich Menschen begegnen kann? Da reicht ein Regal gar nicht aus. Und jedes einzelne kleine Stückchen im Regal kann als Friedensbotschaft und Liebesbeweis dienen. Nun weiß ich nicht, mit wem Sie ein Stück Schokolade teilen. Aber wenn Sie es ehrlich teilen, folgen Sie den zwei wichtigsten Geboten. Das macht doch richtig Appetit, oder?
Tim Wollenhaupt