- Sonntag der Osterzeit, 08.05.2016 – Zum Evangelium nach Johannes 17, 20-26
Römisch katholisch. Griechisch orthodox. Russisch orthodox. Reformierte. Lutheraner. Freie christliche Glaubensgemeinschaft. Was nach unüberschaubarer, unvereinbarer Vielfalt klingt, hat exakt eine einzige Wurzel. Gott.
Gehen wir in Gedanken ein wenig nach draußen. Vielleicht sehen Sie ein Feld. Einen oder mehrere Bäume. Blumen, Gras, Sträucher. In manchen Bäumen und Sträuchern nisten Vögel, an manchem Gewächs finden wir wohlschmeckende Früchte. Andere Gewächse wissen sich durch Stacheln bestens gegen den Zugriff zu wehren. Wie leicht fällt es uns dennoch, diese Vielfalt auf eine gemeinsame Erde zurückzuführen, aus der die Vielfalt erwachsen ist. Und diese Vielfalt nennen wir mit einem einzelnen Begriff: Natur.
Religion und Religionsgemeinschaften sind keine organischen Phänomene. Ihre Regeln kommen nicht durch klimatische und genetische Umstände zustande, sondern allein durch menschliches Nachdenken und Realisieren. Dass ein Mensch Jude ist, Christ in einer der vielen Gemeinschaften oder Moslem, entscheidet sich durch eine menschgemachte und an Menschen weitergesagte Regel.
Könnte man so weit gehen und sagen: Seht doch bitte in diesen Text. Und dann seht doch bitte einmal darauf, was ihr Menschen daraus gemacht habt. Kann das, was wir heute sehen, die gewollte Weiterführung des Evangeliumstextes sein? Jesu Worte entstanden zu einer Zeit, als es keine Christen als anerkannte Gemeinschaft gab. Schon gar keine Moslems. Und ob die jüdische Tradition unbeschadet weiter so bestehen sollte, wie sie Jesus vorgefunden hat, darf nach diesem Text herzhaft bezweifelt werden.
Ganz entscheidend finde ich bei diesem Text, dass Jesus gerade nicht zu seinen Anhängern spricht und ihnen neue Regeln gibt. Er initiiert gerade keine modifizierte oder gänzlich neue Religionsgemeinschaft. Jesus bittet für die Seinen. Für diejenigen, die an Gott glauben. Die Gottes Liebe erkannt haben. Es wird schwierig, aus diesem Text die Erlaubnis abzuleiten, behaupten zu können, im Besitz der Wahrheit zu sein und darum alle anderen, die das ebenso annehmen, gar nicht anzuerkennen oder als Ungläubige zu bezeichnen.
Wenn man sich schon zu Gott bekennt, zu einem Geist, der mit ihm und aus ihm entsteht und zu dem uns gesandten Sohn, dann könnte doch aus diesem Evangelium mindestens innerhalb der Christengemeinschaft von der grenzenlosen Liebe Gottes auf die Überwindung konfessioneller Grenzen geschlossen werden, oder?
Einstweilen aber bleibt für jeden Menschen, der sich zu Gott bekennt, neben dem Aufruf zur Einheit das Geschenk der Liebe und der Gegenwart. Gott sei Dank.
Tim Wollenhaupt
Die Rubrik Impuls zum Sonntag – gibt Frauen und Männern aus unserer Gemeinde die Möglichkeit, ihrem priesterlichen und prophetischen Auftrag Ausdruck zu verleihen. An dieser Stelle finden Sie in jeder Woche neu persönliche Gedanken zum Evangelium des jeweiligen Sonntags – individuelle Lebens-und Glaubenszeugnisse von Menschen, die versuchen, ihr Leben aus der Kraft der Taufe anzunehmen und zu gestalten.