Fest der Heiligen Familie, 27.12.2015 – Zum Evangelium nach Lukas 2, 41-52
Überschrieben ist der heutige Sonntag mit dem Titel „Fest der Heiligen Familie“. Und was lesen wir im Evangelium? Dass Jesus seinen Eltern verloren geht. Ein außergewöhnlicher Grund zum Feiern, oder nicht?
Vor vielen Jahren gab es in einem hiesigen Kaufhaus eine Lebensmittelabteilung. Mit lebenden Fischen in einem Aquarium, damit die Kunden frischeste Ware bekommen können. Ich war noch klein und selbstverständlich neugierig. Also stand ich fasziniert vor den Fischen. So lange, bis ich feststellte, dass die Menschen um mich herum alles waren – nur nicht mit mir verwandt. Zum Feiern hatte ich, gelinde gesagt, keinerlei Anlass. Und so wie mir ging es auch anderen Kindern, denn bis zum Schließen dieser Lebensmittelabteilung war eine Lautsprecherdurchsage jahrzehntelanger Standard: „Die kleine …/Der kleine … sucht seine Eltern. Sie können … an der Kasse in der Lebensmittelabteilung abholen.“ Und an diesem Ort spielten sich dann die Szenen ab, welche die ganze Bandbreite des Lebens darstellen. Von „kannst Du nicht aufpassen, Du Lausebengel?!“, gefolgt von einer einprägsamen Abbildung der elterlichen rechten Hand auf der Wange des Delinquenten bis hin zu tränenreichen Wiedersehensfreuden der Beteiligten.
Meine Eltern haben sich gefreut, mich an der Kasse wieder zu finden. Und mir fiel ein riesiger Geröllhaufen vom Herzen. Gut, dass ich meine Familie wieder hatte. Aber Feiern? So kurz nach dem gefühlten Totalverlust? Eher nicht.
Im Evangelium ist Jesus im Vergleich dazu tiefenentspannt. Denn er hat gar keinen Anlass zur Sorge. Zwar sind die Menschen kurzzeitig fort gewesen, bei denen er aufwuchs, doch er fühlt sich gar nicht heimatlos. Er ist im Haus seines Vaters. So wie ein Ersatzwohnsitz diskutiert er mit den Lehrern im Tempel. Für ihn selbstverständlich, denn eigentlich sind die Lehrer bei seinem Vater und Jesus zu Gast, nicht umgekehrt.
Maria hingegen verweist auf die Sorgen, die sich die Eltern gemacht haben. Später wird im Text davon gesprochen, dass sie alles, was geschehen war, in ihrem Herzen bewahrte. Sie erkennt, dass nun das beginnt, was Jesu Bestimmung ist. Sie hat kein normales Kind zur Welt gebracht, sondern den Sohn Gottes und dieser Sohn wächst in seine Bestimmung hinein, wird zum weisen Lehrer der Lehrer.
Wir alle kennen Sorgen um andere. Wir alle kennen Abschiede. Auszüge, Neuanfänge, Lebensabschnitte, bei denen wir plötzlich erkennen, ab jetzt wird alles anders. Und wahrlich nicht immer ist uns dabei zum Feiern zumute. Für mich erklärt sich der Titel des heutigen Sonntages erst aus der zeitlichen Distanz heraus: Gottes Sohn beginnt sein Wirken unter uns. Und daraus folgt, dass nun beginnt, was man bis heute spüren kann. Jesus begreift die Menschen, die ihm folgen und sein Wort leben, als seine Familie. Ganz unabhängig von jedweder natürlichen Abstammung also auch Sie und mich. Bisweilen erinnert ein Priester im Rahmen der Liturgie daran, dass wir uns als Gotteskinder begreifen dürfen. Jesus ist dann mein Bruder. Nahe wie ein Blutsverwandter. Und Bruder Jesus leitet mich an, mich mit dem liebenden Vater zu beschäftigen, den ich zwar nicht sehe, dessen Liebe mir aber in vielfältiger Form begegnet.
Ihnen wünsche ich, dass Ihnen heute eine familiäre Liebe zuteil wird. Dass Sie sich in einer Liebe geborgen fühlen können, die das Irdische übersteigt. Und dass Sie unabhängig von der vertrauten Familie die Begleitung dessen bemerken, der sich Ihnen wie Schwester und Mutter, Bruder und Vater zuwendet. Als familiäre Gemeinde haben wir dann gewiss Grund zum Feiern.
Tim Wollenhaupt
Die Rubrik Impuls zum Sonntag – gibt Frauen und Männern aus unserer Gemeinde die Möglichkeit, ihrem priesterlichen und prophetischen Auftrag Ausdruck zu verleihen. An dieser Stelle finden Sie in jeder Woche neu persönliche Gedanken zum Evangelium des jeweiligen Sonntags – individuelle Lebens-und Glaubenszeugnisse von Menschen, die versuchen, ihr Leben aus der Kraft der Taufe anzunehmen und zu gestalten.