- Sonntag im Jahreskreis, 20.09.2015 – Zum Evangelium nach Markus 9, 30-37
Es gehört zu den Ritualen der Mächtigen, sich vor oder nach der Übernahme des hohen Amtes an das Volk zu wenden. Von Friedrich dem Großen ist überliefert, sich selbst als ersten Diener seines Staates betitelt zu haben. Ein Bundespräsident hat nach der Wahl die Hoffnung geäußert, das Volk möge erkennen, dass er der Präsident aller Deutschen sein möchte. Bisweilen hören sich diese Äußerungen sogar so an, als meine sie der äußernde Mensch tatsächlich ernst. Und manchmal dauert es Jahre, bis das Volk erkennt, dass etwa ein Politiker, der sich gerne volksnah gab und unter die so genannten „einfachen Leute“ mischte, hohe und höchste Summen für simple Vorträge einstrich. Nur mal so als Beispiel. Ein Kanzlerkandidat kann einem dabei einfallen oder auch ein ehemaliger US-Präsident. Vielleicht auch ein Bischof mit extravagantem Geschmack in der Gestaltung seiner höchstpersönlichen Badelandschaft.
Posten und Ansehen, Ehre, Rum und Macht. Offenbar kein neues Thema, denn die Jünger haben auf dem Weg nach Kafárnaum auch schon darüber sinniert. Eine Geschichte also, die sich vor rund zwei Jahrtausenden zugetragen haben dürfte.
Diesen Überlegungen stellt Jesus ein Kind gegenüber. Also einen Menschen, der sein Gegenüber gerade nicht nach Macht, Einfluss, Ruhm, der Größe des Palastes oder dem Gewebe des Gewandes kategorisiert, sondern sehr wahrscheinlich viel eher nach Zuneigung und Aufmerksamkeit. Ein Kind, also ein der Hilfe bedürftiges Wesen, welches der Obhut bedarf, dessen strategisches Wissen sich erst entwickeln wird. Und im übertragenen Sinne fragt uns Jesus damit, ob wir dem Menschen aus freien Stücken unsere Aufmerksamkeit schenken und ihm helfen werden oder aus dem Willen heraus, geachtet zu werden.
Ich hoffe, dass jeder mindestens einen Menschen kennt, dem er sich bedingungslos offenbaren kann, der ihm jederzeit helfen würde und dafür weder die Hand aufgehalten hat noch auf einen Orden spekulierte. Menschen, bei denen man sich aufgehoben, geborgen und getragen gefühlt hat. Die nicht auf die Uhr und ihren Kalender gesehen haben, als es darauf ankam. Menschen also, die sich rücksichtslos engagieren.
Ihnen wünsche ich, dass Sie so einen Menschen kennen. Und wenn nicht, dass Sie ihn bald kennen lernen. Und vielleicht erleben Sie ja selbst einmal, wie man sich fühlt, wenn man einfach mal was Gutes bewirkt hat.
Tim Wollenhaupt
Die Rubrik Impuls zum Sonntag – gibt Frauen und Männern aus unserer Gemeinde die Möglichkeit, ihrem priesterlichen und prophetischen Auftrag Ausdruck zu verleihen. An dieser Stelle finden Sie in jeder Woche neu persönliche Gedanken zum Evangelium des jeweiligen Sonntags – individuelle Lebens-und Glaubenszeugnisse von Menschen, die versuchen, ihr Leben aus der Kraft der Taufe anzunehmen und zu gestalten.