11. Sonntag im Jahreskreis, 16.06.2024
Zum Evangelium nach Markus 4, 26 – 34
26 Er sagte: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mann Samen auf seinen Acker sät; 27 dann schläft er und steht wieder auf, es wird Nacht und wird Tag, der Samen keimt und wächst und der Mann weiß nicht, wie. 28 Die Erde bringt von selbst ihre Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann das volle Korn in der Ähre. 29 Sobald aber die Frucht reif ist, legt er die Sichel an; denn die Zeit der Ernte ist da. 30 Er sagte: Womit sollen wir das Reich Gottes vergleichen, mit welchem Gleichnis sollen wir es beschreiben? 31 Es gleicht einem Senfkorn. Dieses ist das kleinste von allen Samenkörnern, die man in die Erde sät. 32 Ist es aber gesät, dann geht es auf und wird größer als alle anderen Gewächse und treibt große Zweige, sodass in seinem Schatten die Vögel des Himmels nisten können. 33 Durch viele solche Gleichnisse verkündete er ihnen das Wort, so wie sie es aufnehmen konnten. 34 Er redete nur in Gleichnissen zu ihnen; seinen Jüngern aber erklärte er alles, wenn er mit ihnen allein war.
Juni. Eigentlich die beste Zeit zum Grillen. Und wie ich diese Zeilen schreibe, habe ich schon den Duft einer brutzelnden Leckerei in der Nase. Das kennt vermutlich jeder Mensch. Man kann alles Mögliche grillen, aber das, was ich meine, schmeckt mit einem scharfen Senf richtig gut. Vermutlich wusste ich schon viel früher, was aus einem Senfkorn werden kann, als dass ich wusste, dass dieses Korn in einem Gleichnis eine Hauptrolle spielt.
Einst rief mich ein Priester an und bat um ein Bild von einem Senfkorn als Titelbild für die Pfarrnachrichten. Und schon bekam ich Herzklopfen. Denn natürlich konnte ich ein Senfkorn fotografieren. Auch mit einem hochauflösenden Makroobjektiv. Aber Jesus hat vollkommen richtig beschrieben, wie das dann ist: Klein. Sehr klein. Man könnte es vergrößern. Man könnte es durch eine Lupe fotografieren. Unter einem Mikroskop. Dann könnte man jede Kleinigkeit des Korns exakt abbilden, es studieren, klar. Aber dann bekommt das Senfkorn bildlich das Aussehen einer Melone. Und darum geht es im Text des Evangeliums ja gerade nicht. Es geht um die verschwindende Winzigkeit, die zu einem mächtigen Gewächs reifen kann. Es geht um das Vervielfältigen, um den minimalen Anstoß und das Maximum an Wirkung. Es geht um den berühmten Flügelschlag des Schmetterlings, der sich zum Sturm verstärkt. Während allerdings der Sturm bedrohlich sein kann, ist das Senfgewächs Heim für Vögel und bietet eine schmackhafte Frucht an. Anders gesagt: Ich kann nicht besser fotografieren, als Jesus es nach Markus in Worte fassen kann. Und das, obwohl weder Jesus noch Markus Fotografie kannten. Das allein nötigt mir schon Respekt ab.
Wenn das Gleichnis nicht nur Glaube und Wirkung biologisch erklären will, dann ist es die Beschreibung eines sozialen Phänomens. Aus einem kleinen Handeln, welches man im Gedanken an Gottes Handlungsmaxime bewusst erledigt, kann deutlich mehr werden als eine logische Folge. Man kann vielleicht nicht ein liebevolles Miteinander planen. Ebenso kann kein Landwirt darauf vertrauen, dass jedes Saatkorn aufgeht. Aber mit genügend Saatkörnern darf man durchaus begründet annehmen, dass irgendetwas passiert. Und für eine gute Saat reicht es aus, wenn nur ein Teil der Saatkörner zur großen Pflanze heranreifen. Und so wird man dann, wenn man einem anderen Menschen ein Lächeln schenkt, nicht sofort zum umhuldigten Helden. Aber es ausschließen, dass sich das geschenkte Lächeln noch ein paar Mal am Tag fortpflanzt, kann man nicht.
Wie wäre es, wenn die Leserinnen und Leser dieser Zeilen sich fühlten wie ein Senfkorn. Dann sollten Sie sich nicht verschwindend klein fühlen, sondern daraus Kraft nehmen, dass das, was Sie in die Welt tragen, größer werden kann. Viel größer, als sie selbst es annehmen können. Und dass das, was zu ernten ist, den Genuss nur noch steigern kann.
Dann werden wir nicht gegrillt, aber zur Würze des Lebens.
Tim Wollenhaupt