31. Sonntag im Jahreskreis, 29.10.2023
Zum Evangelium nach Matthäus 22, 34 – 40
Als die Pharisäer hörten, dass Jesus die Sadduzäer zum Schweigen gebracht hatte, kamen sie am selben Ort zusammen.
35 Einer von ihnen, ein Gesetzeslehrer, wollte ihn versuchen und fragte ihn: 36 Meister, welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste?
37 Er antwortete ihm: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken. 38 Das ist das wichtigste und erste Gebot.
39 Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
40 An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.
Das Wichtigste in unserer Verfassung, dem Grundgesetz, steht ganz am Anfang. „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Man könnte sagen, dass Jesus in diesem Text die Antwort auf die Verfassung Gottes gibt.
Zunächst gibt er wieder, was zum Beginn der zehn Gebote zu finden ist. Und dort unterscheiden sich die Juden und ihnen nachfolgend die Christen kaum in der Lesart und der Bewertung. Insofern wird es den Gesetzeslehrer kaum überrascht haben, die erste Antwort zu hören. Den Text, der von Jesus danach als ebenso wichtig deklariert wird, findet man explizit nicht im Wortlaut der zehn Gebote. Ist das aber etwas Neues?
Mir fallen viele Parallelen zwischen der Antwort Jesu und unserem Grundgesetz auf. Denn letztlich muss jede Regelung der Frage unterstellt werden, ob die Menschenwürde angetastet wird oder nicht. Die nachfolgenden Artikel im Grundgesetz verdeutlichen beispielhaft, welche grundlegenden Folgen aus der Beachtung der Menschenwürde folgen. Aber abschließend ist diese Liste keineswegs. Und das Gebot der Nächstenliebe – ist das eine Neuerung, ein ungeschriebener Zusatz?
Nehmen wir an, wir folgen dem geschriebenen Gesetzestext und lieben Gott mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und ganzem Denken. Dann lieben wir automatisch auch Gottes Werk. Ein Teil des Werkes, der sich selbst als Krone der Schöpfung betitelt, ist der Mensch. Und da er gleich im Rudel aufläuft, müsste jeder Teil dieser Schöpfung jedem anderen Teil der Schöpfung allein aus Gründen der Ehrfurcht vor Gott freundlich zugetan sein. Nun haben wir das Problem, dass sich der Teil der Schöpfung, den wir als Natur bezeichnen, nicht direkt mit Worten gegen einen Verstoß wehren kann, sondern eher zeitversetzt und dafür ausgesprochen kraftvoll. Jener Teil, der Mensch heißt, ist fehlbar und darum ist es sicher ein weiser Zug von Jesus, den denkenden Menschen daran zu erinnern, dass es zur Verwirklichung des ersten Gebotes mindestens auch gehört, seinen jeweiligen Gegenüber würdig zu behandeln. Und den Rest der Schöpfung auch.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und mir einen Sonntag in guter Verfassung.
Tim Wollenhaupt