6. Sonntag im Jahreskreis, 16.02.2020
Zum Evangelium nach Matthäus 5, 17 – 37
Ohne lange zu überlegen fallen uns gleich mannigfache Situationen ein, in denen wir ein Gesetz – ja, vielleicht nicht gebrochen, aber die ursprüngliche Lesart mindestens kreativ erweitert haben. So erreichen wir einen Vorteil und können uns doch öffentlich der Tatsache rühmen, jederzeit die Händchen in Unschuld waschen zu können. So gesehen, wenn es nur nach uns ginge, könnte man die Polizei eigentlich abschaffen. Was wäre das herrlich – und was würden wir alles an öffentlichen Geldern sparen – und wie könnte man die dann gleich anders nutzen…
Das alles ist Jesus bekannt. Er ist ja schließlich auch ein Mensch. Und selbstverständlich weiß er, dass das Brechen eines Gesetzes, das Überschreiten einer Regel eher zufällig und unabsichtlich geschehen kann. Doch der Regelfall ist die vorsätzliche Begehung der Tat. Bevor man eine Tat aber begehen kann, wird sie abgewogen, geplant, ein tatsächlicher wie argumentativer Fluchtweg ersonnen. Genau in diese Situation sticht die Kernaussage des heutigen Evangeliums.
Was für eine einfache Regel: Sei ehrlich. Und wie unmöglich scheint es uns, sie einzuhalten. Wir qualifizieren die Ausnahmen schon vorweg. Von Notlüge sprechen wir, die einem edleren Ziel diene. Von Notwehr, die uns keinen anderen Ausweg lässt, als Gewalt mit Gewalt zu beantworten. Ja, selbst die Überschreitung der Notwehr haben wir nebst der Rechtsfolge der Straffreiheit ins Gesetz gegossen, wenn wir nur aus Furcht, Angst und Verwirrung mehr Gewalt bei der Notwehr anwenden als eigentlich ausgereicht hätte. Wenn wir schon bei Notlügen und Notwehr Ausnahmen haben, muss es doch auch andere Ausnahmen geben, selbst, wenn diese noch nicht selbst Gesetzeskraft erlangt haben, oder?
Jesus bleibt bei der simplen Grundregel. Nicht als Zuchtmeister, denn er will um Nachfolge und Gottestreue werben: „Wer sie (die Gesetze) aber hält und halten lehrt, der wird groß sein im Himmelreich.“ Vor den ganzen Beispielen mit den negativen Folgen malt Jesus aus, was der Lohn der Treue ist. Keine vergängliche Prämie für ein vollgeklebtes Heft mit Treuemarken, kein Bonus oder eine Rückerstattung, sondern gleich ein Sonderstatus im Himmelreich.
Gesetzestreu und gottesfürchtig für ein Schmankerl im Jenseits? Ist das nicht ein kleines Bonbon?
Stellen wir uns mal kurz vor, es wäre so, wie von Jesus entworfen. Und wir bräuchten wirklich kein weltliches Gericht mehr, keine Polizei und kein Gefängnis, keine Waffen und nichts in dieser Welt wäre durch Menschen schlecht. Das Himmelreich auf Erden. Eine Utopie, werden Sie sagen. Sage ich auch. Aber eine himmlisch verführerische Utopie. Eine Ahnung davon, wie es sein könnte, wenn man ohne Furcht einfach nur leben könnte. Wenn niemand nur darüber nachdächte, einem anderen zum eigenen Vorteil zu schaden. Wenn wir uns auf ein Ja ebenso wie auf ein Nein bedingungslos verlassen könnten. Das wäre göttlich.
Noch sind wir auf dem Weg dorthin. Immerhin mit Gottes Begleitung. Obwohl wir so sind, wie wir sind.
Tim Wollenhaupt