32. Sonntag im Jahreskreis, 10.11.2019
Zum Evangelium nach Lukas 20, 27 – 38
Morgen, am 11.11., beginnt um 11:11 Uhr die Session im Straßenkarneval. In den Hochburgen wird geschunkelt, gefeiert, getanzt. Man stelle sich vor, dass in dieser Situation ein Reporter Jesus vor der Kamera hätte und ihm ein Mikrofon unter die Nase hielte und die Frage stellte: „Ist das Leben nach der Auferstehung so wie jetzt, hier auf dem Alter Markt in Köln?“
In etwa so kann man die Frage der Sadduzäer im Evangelium interpretieren. Nur, dass die Stellung der Ehefrau in der damaligen Ehe eine gänzlich andere war als heute. Eine Ehefrau ohne Ehemann und Familie war im Judentum der damaligen Zeit die Voraussetzung, von der Gesellschaft weitgehend ausgestoßen und wirtschaftlich am Abgrund zu sein. Die Sadduzäer übertragen ihren gewohnten Gesellschaftsentwurf auf den göttlichen Entwurf eines Lebens. Dieses Vorgehen ist ähnlich beschränkt wie die Frage im Karneval. Jesus wischt das Gerüst der Frage auch entsprechend fort, in dem er die irdischen Regeln als nicht mehr gültig für das Leben in Gott bezeichnet: „sie werden dann nicht mehr heiraten. Sie können auch nicht mehr sterben…“
Wir Menschen streben danach, alles nachvollziehbar zu erklären. Eine Lehre bezeichnen wir mit einem aus der griechischen Sprache abgeleiteten Begriff: „Logos“. Was uns logisch ist, wofür wir nach menschlichem Ermessen einen Beweis haben, das halten wir für wahr. Der Begriff „Logos“ taucht dann in den Bereichen auf, die wir als Wissenschaft bezeichnen, etwa im Wort „Biologie“. Kein Biologe der Welt wird bestreiten, dass Leben enden kann. Gerade in diesem Sommer sind die Biologen dabei gewesen, im Hinblick auf die Klimaerwärmung unentwegt absterbende Wälder zu beschreiben und zu summieren. Klare Wahrheit ist: Wenn es wärmer wird und kein Regen fällt, werden noch viel größere Waldflächen absterben und für weite Zeiten der Zukunft als Sauerstoffproduzenten und Klimaregulatoren ausfallen, mit entsprechend potenzierten Folgen für das Weltklima, an deren Ende abzusehen ist, dass manche resistenten Arten der Natur überleben werden, der Mensch aber nicht dazu gehören wird. Dagegen setzt Jesus sein „sie können auch nicht mehr sterben“. Logisch ist das nicht. Es ist wundersam. Unerklärlich. Ein Geschenk aus Gnade, wie es im 2. Tessalonicherbrief des Paulus steht, dem zweiten Lesungstext des heutigen Sonntages. Der im Kern über die Jahrhunderte hinweg erbärmliche Entwurf menschlicher Regeln und Vorstellungen vom und für das Leben ist etwas, was für und bei Gott nicht gilt. Wie auch? Wenn wir – wie Menschen seit Jahrhunderten – von einem Gott des Lebens ausgehen, wie sollen wir, die wir Leben nur empfangen, es erklären können? Jeder, der sich nur mit der Modifikation des Lebens beschäftigt, wie ein Züchter etwa, weiß ein mannigfaches Lied davon zu singen, wie schwer und aussichtslos es sein kann, nur einen winzigen Bruchteil des Lebens zu verändern. Dass eine Pflanze Schadstoffen widersteht oder ein Hund blaue Augen bekommt.
Die heutigen Texte sagen mir zu, dass ich in meiner Wahrheitsfindung immer beschränkt bleiben werde. Und obwohl ich ein so beschränktes Wahrnehmungsvermögen habe, wendet sich mir Gott mit seinem Gnadengeschenk zu. Unsere mangelnde Weitsicht ist systembedingt. Also beschränken wir uns doch darauf, das Leben auf Erden einigermaßen sinnvoll und gerecht zu gestalten. Begegnen wir auf Erden einander mit dem Versuch einer liebevollen Gemeinschaft. Und hören wir auf, nach dem „Danach“ zu fragen. Es wird unsere Vorstellungen übersteigen. Das kann wundersam sein. Und wunderbar werden. Ein Grund zum Feiern. Nicht im Straßenkarneval, sondern an jedem Tag unseres Lebens.
Einen lebendigen Sonntag und alles Gute für die Woche im Leben
Tim Wollenhaupt