Zum Evangelium Joh 20, 19-31 am Sonntag, dem 27.4.2014
„Da riss der Vorhang im Tempel von oben bis unten entzwei.“ So lesen wir es im Matthäusevangelium vom Palmsonntag (Mt 27, 51a).
Sooft ich diese Textstelle höre, jagt sie mir einen Schauer über den Rücken. Ich höre innerlich das Krachen des zerreißenden Stoffes…
In diesem Jahr hat das Thema „Vorhang“ in der Bereitungszeit Sonntag für Sonntag eine Rolle gespielt, und drei Verzierungskünstlerinnen unserer Gemeinde haben das Motiv gleichfalls auf die Osterkerze geprägt. In der Predigt der Osternacht hat Pastor Schmidt den Gedanken des zerreißenden Vorhangs noch einmal aufgegriffen, als er fomulierte, dass Ostern nicht ohne Riss zu haben sei.
Auch im Evangelium, auf das wir heute hören (Joh 20, 19-31), findet sich dieses Bild wieder: Der auferstandene Christus zeigt sich seinen Jüngern, und er zeigt sich ihnen mit seinen Wundmalen. Thomas, einen seiner Jünger, lädt er – als dieser an der Echtheit dieser Erscheinung zweifelt – ein, den Finger in seine Wunden zu legen, um ihn wirklich als seinen Herrn identifizieren zu können.
Zu mir als Person, zu jedem von uns, gehören Verletzungen, Risse, Wunden, die ich bzw. die wir in unserer Geschichte erworben haben. Sie machen uns unverwechselbar, einmalig; an diesen individuellen Verletzungen sind wir erkennbar. Mir fällt es sehr schwer und es kostet mich immer wieder ungeheuren Mut, mich in meiner Verletzbarkeit und mit meinen Verletzungen zu zeigen. Damit finde ich mich ganz in den Jüngern wieder, denen sicher ein Riss durch ihre Herzen ging, als sie ihren geliebten Jesus und Herrn (und damit auch sich selbst) unwiederbringlich verloren glaubten. Dieser Schmerz und auch die Angst um das eigene Leben veranlasste sie, sich zu verschließen, sich einzuschließen. Wenn ich nun auf Jesus schaue, dann lese ich, dass er diese Verschlossenheit durchbricht und sich dann nicht nur mit seinen Wunden zeigt, sondern Thomas (und auch mich!) sogar einlädt, diese Wunden zu berühren und damit buchstäblich „den Finger in die Wunden zu legen“! Mir wird bewusst, das genau das eine innige Nähe ermöglicht, vielleicht sogar ein Stück Heilung.
Ein Lied von Gregor Linssen kommt mir in den Sinn, und es passt zum heutigen Evangelium, so meine ich, ganz besonders gut:
„Gottes Geist bricht über uns ein, sprengt auf die verschlossene Tür, reißt uns aus den künsten Träumen und verwirklicht sie im Jetzt und Hier. Was kann uns jetzt noch davor bewahrn, in uns Feuer und Flamme zu schürn? Gott ist mit uns, sein Geist brennt sich in unsre Herzen, in die Köpfe, bis die Zungen Funken versprühn. Was kann uns jetzt noch davor bewahrn, Kopf und Kragen für sein Wort zu riskiern? Gott ist mit uns, sein Geist dringt in uns, er öffnet alle Fenster, Türen, Tore, damit alle es hörn.“ Was könnte nicht alles passieren, wenn wir uns von diesen Gedanken anstecken ließen!
Verbunden mit dem Wunsch, dass es uns allen in diesen Wochen gelingen möge, immer tiefer zu schauen, mit Oster-Augen zu sehen, grüßt Sie herzlich
Brigitte Meier
Die Rubrik Impuls zum Sonntag – gibt Frauen und Männer aus unserer Gemeinde die Möglichkeit, ihrem priesterlichen und prophetischen Auftrag Ausdruck zu verleihen. An dieser Stelle finden Sie in jeder Woche neu persönliche Gedanken zum Evangelium des jeweiligen Sonntags – individuelle Lebens-und Glaubenszeugnisse von Menschen, die versuchen, ihr Leben aus der Kraft der Taufe anzunehmen und zu gestalten.