14. Sonntag im Jahreskreis, 07.07.2024 – Zum Evangelium nach Markus 6, 1b – 6
1 Von dort brach Jesus auf und kam in seine Heimatstadt; seine Jünger folgten ihm nach. 2 Am Sabbat lehrte er in der Synagoge. Und die vielen Menschen, die ihm zuhörten, gerieten außer sich vor Staunen und sagten: Woher hat er das alles? Was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist? Und was sind das für Machttaten, die durch ihn geschehen? 3 Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon? Leben nicht seine Schwestern hier unter uns? Und sie nahmen Anstoß an ihm. 4 Da sagte Jesus zu ihnen: Nirgends ist ein Prophet ohne Ansehen außer in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und in seiner Familie. 5 Und er konnte dort keine Machttat tun; nur einigen Kranken legte er die Hände auf und heilte sie. 6 Und er wunderte sich über ihren Unglauben. Jesus zog durch die benachbarten Dörfer und lehrte.
Meine Tante war hoch in den Achtzigern, als sie einen Spruch etablierte. Sie sagte zu meiner Mutter, die ihr im Haushalt half: „Geh da nicht mit scharfen Mitteln dran!“
Gut, meine Tante war mal Chefin eines Friseursalons, hatte über viele Jahre hinweg Angestellte, zu deren Arbeitsvertrag auch gehörte, im Haushalt der Chefin zu putzen. Heute schwer vorstellbar, nach dem zweiten Weltkrieg wohl aber gängig. Und ganz gewiss waren nicht alle Angestellten von Haus aus vertraut mit dem Polieren schwarzer Badezimmerfliesen, die auch noch hochglänzend waren. Ohne aufwändige Putzarbeiten sah das binnen eines Tages miserabel aus, aber frisch nach dem Reinigen galt ein schwarzes Badezimmer als Nachweis bescheidenen Reichtums. Heute würde ich sagen, es war der Nachweis bescheidener Innenarchitekturkenntnisse. Damals war es ein Prestigeobjekt. Und bei diesem Prestigeobjekt ließ meine Tante noch immer die Chefin durchscheinen, selbst dann, als sie nur noch über nicht erwähnenswerte Reste ihres Augenlichtes und zugleich ihres Gehörs verfügte. An diese Fliesen sollte meine Mutter also nicht mit scharfen Mitteln gehen. Wohlgemerkt: Zu diesem Zeitpunkt führte meine Mutter bereits jahrzehntelang untadelig einen eigenen Haushalt. Sie war eines solchen Hinweises ganz sicher nicht bedürftig.
Aber es zeigt, dass das Erlebnis, welches der Evangeliumstext beschreibt, wohl bis in unsere Zeit aktuell ist. Wenn man in seinem familiären Umfeld mal die oder der Kleine war, ist es ein hartes Stück Arbeit, die erworbene Kompetenz zu behaupten. Und als ich zwar schon wusste, was man alles mit einer Kombizange machen konnte, aber den Begriff „Kombizange“ noch nicht kannte, reagierte ich zögerlich beim Anreichen von Werkzeug, als meine erwachsene Verwandtschaft auf Leitern stand und bei uns Holzdecken einzog. Was mir dann bis ins reife Alter nachgetragen wurde. Wohlgemerkt bis zu einem Alter, in dem ich nachts nach plötzlichem Wecken einen druckreifen Vortrag über die Unterschiede der gängigsten Akkuschrauber hätte aufsagen können.
Was lässt uns an den Fähigkeiten so zweifeln? Vor allem bei Menschen, denen wir so häufig über den Weg gelaufen sind, dass wir sie bestens kennen sollten? Ich frage mich das regelmäßig dann, wenn ich jüngere Menschen mit Kameras sehe. Für mich nehme ich an, dass ich einigermaßen um die Funktionsweise von Kameras weiß, in typischen Situationen schon jeden Blickwinkel einmal eingenommen und die Grenzen des technisch Möglichen ausgelotet habe. Und selbst ich bin dann bisweilen überrascht, weil einem anderen Menschen Motive geglückt sind, die ich in derselben Situation nicht gesehen habe. Nun ist Fotografie sicher auch ein Lehrberuf, aber die guten Bilder entstehen eher in der freien Fantasie als nach dem Abarbeiten eines festen Schemas.
Und wie ist das mit Gott? Vertrauen wir ihm, obwohl wir mit ihm vielleicht seit Kindesbeinen an vertraut sein sollten? Nehmen wir eine Fürbitte tatsächlich ernst, wenn wir sie in der Messe hören? Oder ist das, obwohl hier die Gemeinde als Priester wirkt, eher ein routiniertes Ablesen gerade aktueller, für uns aber unlösbar erscheinender Problemstellungen? Anders ausgedrückt: Wäre Jesus tatsächlich unter uns – trauten wir ihm „Machttaten“ zu? In unserem angestammten Wirkungskreis?
An anderer Stelle sagt Jesus: „Wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mat 18, 20). Nun, wenn Jesus doch ohnehin schon da ist, wie wäre es mit einer Chance? Was kann schon passieren, außer einem Wunder?
Ihnen und mir wünsche ich die Fähigkeit zu vertrauen. Und danach die Freude über ein wunderbares Erlebnis.
Tim Wollenhaupt