Wärst du hier gewesen …!
Zum Evangelium Joh 11, 1-45 am 5. Sonntag der Bereitungszeit – 26.3.2023
1 Ein Mann war krank, Lazarus aus Betanien, dem Dorf der Maria und ihrer Schwester Marta. 2 Maria war jene, die den Herrn mit Öl gesalbt und seine Füße mit ihren Haaren abgetrocknet hatte; deren Bruder Lazarus war krank. 3 Daher sandten die Schwestern Jesus die Nachricht: Herr, sieh: Der, den du liebst, er ist krank. 4 Als Jesus das hörte, sagte er: Diese Krankheit führt nicht zum Tod, sondern dient der Verherrlichung Gottes. Durch sie soll der Sohn Gottes verherrlicht werden. 5 Jesus liebte aber Marta, ihre Schwester und Lazarus. 6 Als er hörte, dass Lazarus krank war, blieb er noch zwei Tage an dem Ort, wo er sich aufhielt. 7 Danach sagte er zu den Jüngern: Lasst uns wieder nach Judäa gehen. 8 Die Jünger sagten zu ihm: Rabbi, eben noch suchten dich die Juden zu steinigen und du gehst wieder dorthin? 9 Jesus antwortete: Hat der Tag nicht zwölf Stunden? Wenn jemand am Tag umhergeht, stößt er nicht an, weil er das Licht dieser Welt sieht; 10 wenn aber jemand in der Nacht umhergeht, stößt er an, weil das Licht nicht in ihm ist. 11 So sprach er. Dann sagte er zu ihnen: Lazarus, unser Freund, schläft; aber ich gehe hin, um ihn aufzuwecken. 12 Da sagten die Jünger zu ihm: Herr, wenn er schläft, dann wird er gesund werden. 13 Jesus hatte aber von seinem Tod gesprochen, während sie meinten, er spreche von dem gewöhnlichen Schlaf. 14 Darauf sagte ihnen Jesus unverhüllt: Lazarus ist gestorben. 15 Und ich freue mich für euch, dass ich nicht dort war; denn ich will, dass ihr glaubt. Doch wir wollen zu ihm gehen. 16 Da sagte Thomas, genannt Didymus, zu den anderen Jüngern: Lasst uns mit ihm gehen, um mit ihm zu sterben![1] 17 Als Jesus ankam, fand er Lazarus schon vier Tage im Grab liegen. 18 Betanien war nahe bei Jerusalem, etwa fünfzehn Stadien entfernt. 19 Viele Juden waren zu Marta und Maria gekommen, um sie wegen ihres Bruders zu trösten. 20 Als Marta hörte, dass Jesus komme, ging sie ihm entgegen, Maria aber blieb im Haus sitzen. 21 Marta sagte zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben. 22 Aber auch jetzt weiß ich: Alles, worum du Gott bittest, wird Gott dir geben. 23 Jesus sagte zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen. 24 Marta sagte zu ihm: Ich weiß, dass er auferstehen wird bei der Auferstehung am Jüngsten Tag. 25 Jesus sagte zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, 26 und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben. Glaubst du das? 27 Marta sagte zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll. 28 Nach diesen Worten ging sie weg, rief heimlich ihre Schwester Maria und sagte zu ihr: Der Meister ist da und lässt dich rufen. 29 Als Maria das hörte, stand sie sofort auf und ging zu ihm. 30 Denn Jesus war noch nicht in das Dorf gekommen; er war noch dort, wo ihn Marta getroffen hatte. 31 Die Juden, die bei Maria im Haus waren und sie trösteten, sahen, dass sie plötzlich aufstand und hinausging. Da folgten sie ihr, weil sie meinten, sie gehe zum Grab, um dort zu weinen. 32 Als Maria dorthin kam, wo Jesus war, und ihn sah, fiel sie ihm zu Füßen und sagte zu ihm: Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben. 33 Als Jesus sah, wie sie weinte und wie auch die Juden weinten, die mit ihr gekommen waren, war er im Innersten erregt und erschüttert. 34 Er sagte: Wo habt ihr ihn bestattet? Sie sagten zu ihm: Herr, komm und sieh! 35 Da weinte Jesus. 36 Die Juden sagten: Seht, wie lieb er ihn hatte! 37 Einige aber sagten: Wenn er dem Blinden die Augen geöffnet hat, hätte er dann nicht auch verhindern können, dass dieser hier starb? 38 Da wurde Jesus wiederum innerlich erregt und er ging zum Grab. Es war eine Höhle, die mit einem Stein verschlossen war. 39 Jesus sagte: Nehmt den Stein weg! Marta, die Schwester des Verstorbenen, sagte zu ihm: Herr, er riecht aber schon, denn es ist bereits der vierte Tag. 40 Jesus sagte zu ihr: Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen? 41 Da nahmen sie den Stein weg. Jesus aber erhob seine Augen und sprach: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. 42 Ich wusste, dass du mich immer erhörst; aber wegen der Menge, die um mich herumsteht, habe ich es gesagt, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast. 43 Nachdem er dies gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! 44 Da kam der Verstorbene heraus; seine Füße und Hände waren mit Binden umwickelt und sein Gesicht war mit einem Schweißtuch verhüllt. Jesus sagte zu ihnen: Löst ihm die Binden und lasst ihn weggehen! 45 Viele der Juden, die zu Maria gekommen waren und gesehen hatten, was Jesus getan hatte, kamen zum Glauben an ihn.
Die Lazarus-Geschichte, auf die wir am 5. Sonntag der Bereitungszeit hören, bewegt mich immer wieder zutiefst.
Da ist zum einen die Reaktion der beiden Schwestern Marta und Maria auf das Kommen Jesu: „Wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben“! Dieser Ausruf beider ist so verständlich und authentisch! Beide glauben fest daran, dass Jesus der Christus und Messias ist. Beide glauben fest an die Auferstehung der Toten am letzten Tage. Und doch ist der Schmerz so groß, dass sie ihren Bruder im Hier und Jetzt loslassen und ihr Leben nun ohne ihn an ihrer Seite meistern müssen. Warum bloß, wenn Jesus es doch hätte verhindern können?!
Wärst du doch nur hier gewesen … oder auch anders formuliert: warum warst du nur nicht da, als es zum Schlimmsten kam? … Völlig nachvollziehbare und selbst durchlebte Gedanken, wenn uns großes Leid widerfährt, wenn wir endgültig von einem geliebten Menschen Abschied nehmen müssen, besonders dann, wenn dieser nach menschlichem Ermessen noch viele Jahre im Kreise seiner Lieben hätte haben müssen, wenn die Lücke, die er hinterlässt, so grausam groß ist!
Noch mehr rührt mich die Reaktion Jesu auf diese Ausrufe seiner engen Freundinnen an. Hatte er vorher noch – ich nenne es mal – theologisiert, seinen Jüngern erklärt, dass alles geschieht zur Verherrlichung Gottes in einer Art und Weise, als wäre er persönlich gar nicht betroffen, so zeigt sich Jesus nun im Angesicht der trauernden und weinenden Freundinnen so menschlich, so emotional! „(Da) war er im Innersten erregt und erschüttert“ und er weint. JESUS WEINT!! Wie nah ist er mir da! Es ist wie ein Sich in die Augen Sehen, wie ein Umarmen: Dir ist es nicht fremd, was wir fühlen, Jesus, und schon gar nicht egal! Dein Mit-Leid und deine mit uns geteilte Emotion ist echt!
Und dann erweckt Jesus – weinend und tief bewegt , gegen die plötzlichen Bedenken Martas und den Worten „Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen“ – vor aller Augen den Freund zum Leben. Aus der Predigt wird konkrete Tat.
Warum kannst du das nicht im Hier und Jetzt wiederholen, schießt es mir durch den Kopf! Wie gern würde ich geliebte Menschen, die die Schwelle des Todes überschritten haben, wieder in die Arme schließen! Wie sehr wünschte ich diese beglückende Erfahrung ganz konkret einer jungen Familie, die ihre Tochter und Schwester im Alter von acht Jahren haben gehen lassen müssen!
Ich schaue noch einmal intensiver auf den Text: Was tut Jesus da eigentlich genau? Er fordert die Menschen auf, aktiv zu werden: Sie sollen den Stein wegschieben, den sie selbst vorher vor das Grab geschoben haben, der Verstorbene folgt dem Aufruf herauszukommen, und die Menschen lösen ihm auf Jesu Aufforderung hin die Binden, die ihn festhalten. Und Jesus sagt zu den Menschen: Lasst ihn weggehen!
Auf ersten Blick, vordergründig, kehrt Lazarus damit in das normale irdische Leben zurück. Aber ist es nicht etwas anderes, was entscheidend ist? Weg mit dem Stein, weg mit dem, was Ballast ist, im Dunkeln hält, fesselt und bindet, und so befreit sich lösen von der örtlichen Bindung: Das ermöglicht Jesus seinem Freund!
Ich will wirk- lich daran glauben , es auch spüren und leben, dass es genau das ist, was geschieht, wenn Menschen unser Hier und Jetzt endgültig verlassen und heimgehen zum Vater! Sie leben ohne die Fesseln und Bindungen, die ein menschlicher Körper mit sich bringt, in der Freiheit Gottes auf ewig, mit uns verbunden und nah, uns nur einen Schritt voraus!
Maria Schmale