32. Sonntag im Jahreskreis, 07.11.2021
Zum Evangelium nach Markus 12, 38 – 44
38 Er lehrte sie und sagte: Nehmt euch in Acht vor den Schriftgelehrten! Sie gehen gern in langen Gewändern umher, lieben es, wenn man sie auf den Marktplätzen grüßt, 39 und sie wollen in der Synagoge die Ehrensitze und bei jedem Festmahl die Ehrenplätze haben. 40 Sie fressen die Häuser der Witwen auf und verrichten in ihrer Scheinheiligkeit lange Gebete. Umso härter wird das Urteil sein, das sie erwartet.
41 Als Jesus einmal dem Opferkasten gegenübersaß, sah er zu, wie die Leute Geld in den Kasten warfen. Viele Reiche kamen und gaben viel. 42 Da kam auch eine arme Witwe und warf zwei kleine Münzen hinein. 43 Er rief seine Jünger zu sich und sagte: Amen, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Opferkasten hineingeworfen als alle andern. 44 Denn sie alle haben nur etwas von ihrem Überfluss hineingeworfen; diese Frau aber, die kaum das Nötigste zum Leben hat, sie hat alles hergegeben, was sie besaß, ihren ganzen Lebensunterhalt.
Haben Sie auch sofort an den Kölner Erzbischof gedacht, als sie von den Schriftgelehrten im heutigen Evangelium gelesen haben? „Sie gehen gern in langen Gewändern umher, lieben es, wenn man sie auf Marktplätzen grüßt und sie wollen in der (Kirche) die Ehrensitze und bei jedem Festmahl die Ehrenplätze haben.“ Nun, so ein Bischof hat einen außergewöhnlichen Platz im heimatlichen Dom und sicher gehören die Plätze von Bischöfen bei öffentlichen Festessen gewiss nicht zu denen mit Sichteinschränkungen. Inwieweit Vers 40 auf den Kölner oder andere Bischöfe zutreffen, vermag ich nicht zu entscheiden. Aber sicher bin ich mir, dass der Bischof und seine Amtskollegen ihre monatlichen Bezüge noch nicht einmal dann in Gänze in einen Opferkasten legten, wenn sie eine Auszeit nehmen.
Und ich? Habe ich etwa jemals in meinem Leben wirklich alles abgegeben, um ein Opfer zu bringen? Nein, habe ich nicht. Die Monatseinkünfte zwischen mir und einem Erzbischof mögen Universen voneinander entfernt sein, am Opferkasten sind wir gleich.
Die arme Witwe ist ein weiteres Beispiel von denen, die Jesus immer wieder in seine Nachfolge ruft, aber zur Bedingung macht, zuvor ihren Besitz abzugeben. Neustart. Komplett. Komm zu mir, wie Du geboren wurdest. Leg ab, was Dich von Gott ablenkt. Es ist so leicht gesagt und so schwer getan. Niemand in unserer gewinnorientierten westlichen Welt könnte problemlos auf diese Weise überleben. Klar, man könnte unentwegt Gutes tun – aber nicht lange, denn auf die Dauer braucht man zum Tun eben auch Nahrung und Obdach, beides bekommt man nicht geschenkt.
Es ist wohl nicht der Kern aller dieser Bibelworte, mittellos zu werden. Es ist eher eine Frage der Ernsthaftigkeit. Der Unterschied zwischen den wohlgewandeten Schriftgelehrten und der armen Witwe ist nicht die Betragshöhe oder die äußere Erscheinung. Es ist eher das öffentlich wahrnehmbare scheinheilige Gehabe auf der einen Seite und das stille, in sich gekehrte Gebet auf der anderen Seite, dessen intensiven Beweggrund man über die im Verhältnis betrachtete Opfergabe ermitteln kann. Jesus wendet sich nach den Worten des Evangeliums denen in Liebe zu, die ernsthaft und überzeugend darum bitten. Die sich an seinem Wort orientieren wollen, weil es ihnen wichtiger ist als Besitz.
Und schon können Sie und ich, die Witwe und alle Bischöfe unabhängig vom individuellen Kontostand das Gebet an Gott richten. Ernsthaft und nicht scheinheilig. Und derjenige, der urteilt, ist nicht der weltliche Beobachter mit dem kritischen Blick des Konkurrenten, sondern Gott, bei dem Reichtum ebenso unwichtig sein dürfte wie bittere Armut.
Daher, gütiger Gott, gib uns Menschen die Kraft, ernsthaft um Dein Wort bemüht zu sein und sich bei Entscheidungen davon leiten zu lassen, ob damit lediglich dem Besitz gedient wird, oder einem Werk der Liebe.
Ihnen wünsche ich einen gesegneten Sonntag und eine gute Woche.
Tim Wollenhaupt