Fest der Heiligen Familie, 31.12.2017 – Zum Evangelium nach Lukas 2, 22 – 40
Gott erfüllte es mit Weisheit und seine Gnade ruhte auf ihm.
Meine Mutter liest alle Geburts- und Todesanzeigen in der Zeitung. Sehr gewissenhaft und schon seit Jahrzehnten. Aber eine Formulierung wie diese hat sie noch nie gelesen, weder zur Geburt noch zum Tod.
Und doch ist es der Kern dessen, was Getaufte glauben und glauben dürfen: nicht nur Jesus wird größer und mit ihm wächst die Weisheit, er wird zum Lehrer der Nächstenliebe. Wir auch. Dem Getauften wird zu Lebzeiten die Begleitung über den Tod hinaus zugesagt. Der Mensch wächst in diesem Glauben heran und wird in der Firmung dazu eingeladen, seinen Glauben erwachsen werden zu lassen und das Taufversprechen, welches häufig seine Eltern gegeben haben, selbst zu erneuern: Ja, ich glaube.
Für viele Menschen ist heute nicht in erster Linie das Fest der Heiligen Familie, sondern Silvester, Jahresende. Wie die beiden Menschen, die im heutigen Evangelium im Tempel gewartet haben, haben vielleicht auch unter uns Menschen in diesem Jahr auf etwas gewartet. Auf eine freundliche Aufnahme nach einer Flucht. Auf einen Wechsel der Politik. Auf ein gutes Wort und die Erlösung aus Einsamkeit. Auf jemanden, der ein Problem erkennt und hilft. Das Evangelium nennt einen Menschen, der offenbar jahrelang gewartet hat in der Hoffnung, vor seinem Tod ein Zeichen der Rettung zu erkennen.
Ich gehe in eine Kirche, aber sicher nicht wie Simeon. Oder besser: Noch nicht wie Simeon. Einerseits, weil ich davon ausgehe, dass ich noch eine ganze Weile leben werde. Und andererseits, weil das Wort der Hoffnung schon längst im Raum steht. Vor zwei Monaten, in den letzten Stunden des Reformationstages und dem Beginn des Allerheiligentages, haben Menschen unterschiedlichster Glaubensrichtungen über die Begriffe „Christus“, „Schrift“, „Gnade“ und „Glaube“ nachgedacht. Die vier grundlegenden Säulen, auf die Luther verweist, waren Gegenstand der Betrachtung in Alter Kirche und Propsteikirche in Wattenscheid. Am Schluss des Abends stand eine Christusfeier an der ältesten Taufstelle, die es nördlich der Alpen gibt. Einer Taufstelle, die noch vor der Reformation entstand. Eine Taufstelle, die solide genug ist, um den langen Weg, der bis zur Einheit der Christen zu gehen ist, zu überdauern. Und die sogar so fest ist, dass sie auch die Zeit danach noch begleiten kann. Auf dem Taufstein der Propsteikirche St. Gertrud von Brabant sind die Stationen Geburt Jesu, Taufe, Kreuzigung und Auferstehung zu sehen. Diese Zeichen laden uns alle ein, das Wort Gottes wie Simeon zu betrachten. Lassen wir es zu, können wir „das Heil sehen, das du vor allen Völkern bereitet hast.“
Aber um das zu können – in jeder Situation des Lebens – dazu müssen auch wir noch wachsen und es wäre sehr schön, wenn ein wenig Gnade solange auf uns ruhen könnte. Schön, dass Simeon uns mit seiner Zuversicht ein Vorbild davon gibt.
Einen gesegneten Jahreswechsel und ein gnadenreiches Jahr 2018 wünscht Ihnen
Tim Wollenhaupt