- Sonntag im Jahreskreis, 09.07.2017
Zum Evangelium nach Matthäus 11, 25 – 30
Es gab mal eine Zeit, in der man nur in einer Stadt wohnen durfte, wenn man freier Bürger war. Dann gab es eine Zeit, in der man dem Magistrat der Stadt nur angehören konnte, wenn man eine gewisse wirtschaftliche Macht besaß. In bestimmte Clubs kommt man heute nur hinein, wenn man bestimmte Kleidung trägt, ein bestimmtes Auto fährt oder einen bestimmten Mitgliedsbeitrag zahlen kann. In andere Vereinigungen kommt man nur, wenn man einen bestimmten Abschluss vorweisen kann. Meisterbrief, akademische Würde, Managementposition. Wer früher wirklich frei wirken wollte, musste von hohem Adel sein.
Und Jesus? Definiert er die zukünftige Christenheit im heutigen Evangelium als elitären Club für wenige Mitglieder? Wird ausgegrenzt, wer einen bestimmten Intelligenzquotienten nicht besitzt, wer arm ist oder krank? Wer das theologische Grundsatzwissen nicht beherrscht?
Nun, einen kleinen Hinweis auf den „Mitgliedsbeitrag“ finde ich schon. Und der hat es in sich. Irdische Güter sind nicht entscheidend, auch die gesellschaftliche Position entscheidet nicht über die Nähe zu Gott. „Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir“, verlangt Jesus. Der Mitgliedsbeitrag ist Nachfolge.
Wann haben Sie sich zuletzt kreuzigen lassen? Provokant ist die Frage, natürlich. Wenn man sie wörtlich nimmt. Aber im weiteren Sinne kann man eine Kreuzigung auch erfahren, wenn man gedemütigt wird, gemobbt, im Unrecht belassen, verspottet und verachtet wird. Wenn man das Gefühl hat, an die Wand gestellt zu werden, allein und ohne Aussicht auf Hilfe. Ohnmächtig bei vollem Bewusstsein. Nachfolge – das ist dann sehr schwierig. Nicht auf Rache sinnen, nicht nach Wegen suchen, dem anderen eins auszuwischen, den anderen nicht verletzen, sondern ihm in Liebe begegnen. Auch als Feind. Gut, man könnte meinen, jetzt, wo ich hier am Schreibtisch sitze und diesen Text schreibe, da kann man ja locker und entspannt um Nachfolge philosophieren. Aber im „wahren Leben“ findet das doch eher den Titel der „Utopie“. In der Tat, eine Gesellschaft, die von der Nachfolge nur träumt, kann auch vom ewigen Leben nur träumen. Aber was, wenn eine Gesellschaft ernst machte mit der Nachfolge? Was, wenn wir nicht nur davon träumten, gerecht zu handeln, auch jenen in Liebe zu begegnen, die wir nicht kennen? Was, wenn wir selbst nicht das Heil in der Abschottung suchten, sondern in der freien Offenheit Jesu? Was, wenn wir selbst sagten: „Kommt alle zu mir…“ Das wäre nicht eine Einladung zum Einfall in Sozialsysteme. Das wäre eine Einladung an alle, offen zu sein für alle. Das wäre eine Einladung für die Menschheit, sich um die Welt zu kümmern, das Schützenswerte zu definieren und zu achten, sich für Wege zu interessieren, die ein friedliches Leben aller mit allen ermöglicht. Utopie kann man das nennen. Man kann es auch in den ersten Artikeln unseres Grundgesetzes nachlesen. Und man kann sich bewusst machen, dass die Nachfolge in unserem Leben längst verankert ist. Eine hohe Intelligenz ist dazu nicht notwendig. Es reicht, wenn man die eigenen Ressourcen statt auf vermeintliche Schlupflöcher auch mal am Nächsten ausrichtet.
Der Preis? Ruhe für die Seele. Ihnen wünsche ich einen in diesem Sinne ruhigen Tag.
Tim Wollenhaupt