- Sonntag der Osterzeit, 22.04.2018 – Zum Evangelium nach Johannes 10, 11 – 18
Es kommt ganz, ganz selten vor, dass ich blöke wie ein Schaf. Und auch, wenn mein Nachname nach einem Schafprodukt klingt, bietet meine Scheitelgegend im Vergleich zu einem Schaf eine komplett konträre Ansicht. Bin ich also ein Schaf? Muss man sich für mich opfern?
Selbst im übertragenen Sinne grase ich nicht auf einer Wiese, trete nicht mit meinen Hufen den Deich fest und kein Hund sorgt dafür, dass ich bei meiner Herde bleibe. Alle zwei Wochen wird mein Kopf geschoren, das schon, aber aus eigenem Antrieb, nicht auf Geheiß des Schäfers. Nein, mit einem Schaf will ich gar nicht verglichen werden. Und mit dem intelligenzbeschränkten Wiederkäuer erst recht nicht. Manchmal habe ich gerade abseits der Herde recht positive Momente und sammle Erfahrungen. Erfahrungen, die im Laufe des Lebens zu der einen oder anderen Erkenntnis führen und für den Rest dessen, was ich so verbocke, kann ich wohl selbst gerade stehen, ohne eines Opfers zu bedürfen.
So kann man es zumindest denken. Bis man die Bilder zusammenfügt, die sich in der Bibel so finden lassen. Einerseits bezeichnet sich Jesus im heutigen Evangelium als guten Hirten. Als den einen unter vielen Lebewesen, der vorausschauend ist, der planen kann, der den Überblick behält, der sein Leben der Hege und Pflege verschrieben hat. Dessen Interesse nicht der wirtschaftlichen Ausbeute seiner Arbeit gilt, sondern dem Erhalt der Herde und vielleicht der Vergrößerung.
An anderer Stelle sehen wir das Bild des Lammes. Eine kindliche Version, willenlos, dem Schicksal hilflos ausgeliefert, einzig dazu bestimmt, stellvertretend für den Halter des Tieres für dessen Verfehlung geopfert zu werden.
Jesus ist also beides gleichzeitig: Das willenlose Opferlamm und der gute Hirt, der sein Leben für die Schafe gibt. Zweifache Selbstaufgabe und in zweifacher Weise nicht zum eigenen Wohl, sondern zu fremdem Wohl.
Fremd? „Ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich“ lesen wir im Evangelium. Jesus kennt mich? Und noch viele andere, die ich nicht kenne, die ich nicht einmal in meiner „Herde“ finden kann? Ja, er kennt mich. Ich habe kein Brandzeichen. Ich bin getauft. Das Brandzeichen der Christen kann man abtrocknen, aber nicht entfernen. Daran erinnert uns der Ausspruch eines Priesters nach der Taufe: „Du gehörst für immer zu Christus, der gesalbt ist zum König, Priester und Propheten“. Mit der Taufe gehöre ich, ob Schaf oder nicht, zur Herde. Auch dann, wenn ich keinen einzigen anderen Teil der Herde kenne. Und schon sieht man den Hirten nicht mehr aus der Sicht eines willenlosen Tieres, sondern als Teil einer Gemeinde, die sich nach dem sehnt, der bedingungslos zur Gemeinde steht, egal, ob man etwas verbockt hat oder nicht. Langsam erahne ich, was das Bild mir sagen will: Gott weiß um mich und er beschenkt mich, in vielfältiger und hingebungsvoller Weise. Er ließe mich auch Schaf bleiben, wenn ich nur das könnte: Blöken und Wiederkäuen. Aber selbst dann, wenn ich unter Aufbietung aller Intelligenz und Talente nur Unsinn zustande brächte, sagt Gott mir zu, sich für mich aufzugeben.
Kann ich dieses Geschenk annehmen? Eigentlich nicht. Soll ich es? Klar! Denn meine Vernunft ist endlich und damit stets kleiner als Gottes Liebe. In manchen Gemeinden wird das auch in der Liturgie gesungen: „Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, er halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß und stärke unsre Liebe“ (aus: Keinen Tag soll es geben, Musik: Thomas Quast, Text: Uwe Seidel).
Spätestens dann, wenn eine Gemeinde das singt, fühle ich mich plötzlich wohl in meiner Herde. Ich habe keine Probleme damit, eine höhere Liebe anzuerkennen als die, die ich selbst empfinden oder schenken kann. Ein kleiner Moment, in dem ich eine Fußspur des guten Hirten erkennen kann.
Genießen Sie Ihr Schafsleben und viel Freude auf dem Deich, der Ihr Leben ist. Geben Sie auf sich Acht, Ihr guter Hirte liebt Sie lebendig. Sogar über Ihren Tod hinaus.
Einen auf diese Weise beschenkten Sonntag wünscht Ihnen
Tim Wollenhaupt