- Sonntag im Jahreskreis, 12.02.2017 – Zum Evangelium nach Matthäus 5, 17 – 37
Wer sich mit dem einen oder anderen Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuches beschäftigen möchte, der wird relativ bald feststellen, dass der Gedanke der Gerechtigkeit in Worten wie „Schadensersatz“, „Gegenleistung“ oder auch „Herausgabe“ seinen Niederschlag findet. Das, was man zu Unrecht erlangt hat, soll dem rechtmäßigen Besitzer wieder herausgegeben werden. Ein Schaden, der angerichtet wurde, wird beziffert und der Verursacher ist dem Geschädigten zur Zahlung der Summe verpflichtet. Und ein Schuldner ist meist nur dann zur Leistung verpflichtet, wenn sein Geschäftspartner im Gegenzug seinerseits seine Leistung erbringt.
Dieses Gesetz fußt auf dem Willen des Gesetzgebers, zwischen Menschen möglichst ein gerechtes Verhältnis herzustellen. Entweder dadurch, dass Regeln für zukünftige Rechtsverhältnisse zwischen Menschen aufgestellt werden oder dadurch, dass geregelt wird, wie im Streitfall zu entscheiden ist.
Viel älter sind die zehn Gebote, die Mose von Gott empfing. Und bis heute kann man grundlegende Elemente gerade dieser Gebote in der höchst irdischen Rechtsprechung finden. Gleichwohl erkennt man leicht, dass die zehn Gebote auf einer Postkarte entspannt Platz fänden, während allein deutsche Gesetze ganze Regalwände füllen. Die Auseinandersetzung mit dem, was Recht sein soll, ist ein seit Menschengedenken währendes Unterfangen. Es verwundert daher nicht, wenn Jesus sich mit der Auslegung von bestehenden Regelungen beschäftigt. Aber er versteht die Regelungen gänzlich anders als ein deutscher Jurist. Ein Jurist wird sich stets fragen, ob eine Regelung sinnvoll ist, gegen die Verfassung verstößt oder geändert werden muss. Jesus hingegen nimmt die Gebote hin und kritisiert sie mit keinem Wort. Die Existenz des Gebotes wird nicht in Frage gestellt, weil sie göttlichen Ursprungs ist. Gegen Gott hilft kein Gericht, Gott ist das Gericht.
Was dann folgt, ist ein gesalzener Ansatz. Nicht die Opfergabe an Gott ist entscheidend, wenn man ein Gebot gebrochen hat. Sondern das ernsthafte Bemühen um den anderen Menschen und dessen Wohlergehen. Statt eines Opfers zählt die Aussöhnung mit dem Nächsten. Statt des Tötens soll der Versuch des Miteinanders unternommen werden. Dort, wo das Recht die Vergeltung verortet, steht bei Jesus der Anspruch, es gar nicht so weit kommen zu lassen, dass es einer Vergeltung bedarf. Ist das aber nicht eine grenzenlose und unrealistische Utopie?
„Vergeltungsmaßnahme“ ist ein Begriff, mit dem sich ganze Landstriche und Bevölkerungsgruppen unter massiver Waffengewalt auslöschen lassen. Und derartige Maßnahmen bestimmen die Gegenwart; sie sind allgegenwärtige Ereignisse der Geschichte. Dieser Jesus stellte also vor zweitausend Jahren eine Regel auf, an die sich in der gesamten Zwischenzeit weder Menschen noch Staaten dauerhaft gehalten haben. Das kann man eine blinde Utopie nennen. Oder auch einen immerwährenden, ganz aktuellen Auftrag. Lassen wir unser Opfer also auf dem Opfertisch liegen und wenden uns lieber dem Gedanken des Miteinanders zu. Lassen wir es doch wenigstens jetzt zu, dass wir zwei Meilen mit einem Menschen gehen, der uns nur um eine gebeten hat. Natürlich wird das schwierig und selbstverständlich wird es immer wieder eine Enttäuschung geben. Aber Jesus gibt in seiner Interpretation des Gebotes auch immer wieder eine Chance zum Neuanfang. So, vielleicht nur so, haben Liebe und Leben eine Chance. Nur so kann aus einer Utopie Realität werden.
Ihnen wünsche ich, dass Sie begleitet werden. Nicht nur auf einem Weg, den Sie gehen. Sondern im Herzen durch Menschen, die bereit sind, mit Ihnen immer wieder neu aufzubrechen. Zu Ihrem persönlichen Ziel einerseits und andererseits gemeinsam zu Gott.
Tim Wollenhaupt
Die Rubrik Impuls zum Sonntag – gibt Frauen und Männern aus unserer Gemeinde die Möglichkeit, ihrem priesterlichen und prophetischen Auftrag Ausdruck zu verleihen. An dieser Stelle finden Sie in jeder Woche neu persönliche Gedanken zum Evangelium des jeweiligen Sonntags – individuelle Lebens-und Glaubenszeugnisse von Menschen, die versuchen, ihr Leben aus der Kraft der Taufe anzunehmen und zu gestalten.